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Einfälle, das Thema zu beleben«, mit enthusiastischem Beifall. Auf den
Punkt gebracht: der »beste Redner der Stadt«.26
Auch in Wien braucht es eine »vertiefende Behandlung« des Themas
in Form eines »Dilettanten der Liebe« betitelten »psychologisch-sexual-
philosophischen« Privatissimums
– im 900 Zuhörer fassenden Mittleren
Saal des Konzerthauses.
»Das Publikum bestand aus drei Teilen: aus den Abgesandten dreier
Kaffeehäuser, die sich vor sich bestätigen ließen, daß einer etwas anderes
sagt, was sie längst besser gesagt haben oder noch feiner sagen würden;
aus zwei Jüngern Karl Kraus’, von denen sich einer zu einem Zwi-
schenruf aufschwang; aus Leuten, die sich in einem verdunkelten Saal
ohrfeigen ließen und dazu lachten«.27 Präziser: »Der starre
Zentralist ist zur Herrenhofmoral übergegangen. Einen ›Bür-
ger‹ hat er sich eigens konstruiert, einen grotesken Bourgeois,
der ihm als Watschenmann dient. […] Jeder Satz eine Injektion
von Sodawasser mit fein pulverisierten Glassplittern. Wildgans
wird gegen Wedekind ausgespielt. […] Alles mit der letzten
Heftigkeit und Gereiztheit. […] Er bestreitet alles. Seine Psychoanalysen
des Erotischen sind so scharfsichtig als gewagt. Er getraut sich alles
herauszusagen, was sich die anderen nicht einmal denken. Dabei verach-
tet er sein nettes artiges Publikum ziemlich gründlich. Typus: der sich
grob stellende Wirt, der auch die stillsten Gäste anrempelt.«28
Ab 22. Dezember gastiert Leopold Jessner mit seiner Inszenierung
»Richards III.« vom Berliner Staatlichen Schauspielhaus am Wiener
Raimund-Theater. Anton Kuh packt die Gelegenheit beim
Schopf, gegen den »Berliner Bluff« generell vom Leder zu zie-
hen und gegen den Berliner Theaterbetriebsbluff im besonde-
ren, gegen den modernen »Auffassungsdarsteller« generell und
Fritz Kortner in der Hauptrolle im besonderen, der Richard III.
als brüllenden Fleischerknecht gebe und von dem er sich nur
wundert, daß er angesichts der roten Treppe, die sich vor ihm auf-
türmt – die »Jessnersche Treppe«, eine Stufenbühne, ist ab 1919 orga-
nisierendes Zentrum von Jessners Inszenierungen –, nach einem Pferd
verlangt und nicht ruft: »Ein Lift, ein Lift, ein Königreich für einen
Lift!«
Als Jessner, Proponent des politischen Theaters und als General-
intendant der Schauspielbühnen des Staatstheaters Berlin heftig umstrit-
ten, Anfang 1930 – »im Wege gütlicher Vereinbarung«, wie das preußi-
sche Kultusministerium verlautbart – aus dieser Funktion ausscheidet,
hält Kuh ihm eine Grabrede
– die zweite bereits: »Ein Nekrologist soll
sich nicht selber zitieren. Wie aber, wenn er seinem Gegenstand schon
Wien,
Konzerthaus,
Mittlerer Saal,
29.11.1921,
21 Uhr:
Dilettanten
der Liebe
Wien,
Musikverein,
Kleiner Saal,
3.1.1922,
19 Uhr:
Ein Pferd, ein
Pferd …
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien