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Börnes Polemik gegen den »Franzosenfresser« Wolfgang Menzel
sei die »Auseinandersetzung mit dem Treitschke-Thoma-Ludendorff-
Typus seiner Zeit« gewesen. Und seine Fehde gegen Goethe habe auf den
»deutschen Philister« gezielt, der sich in der nachnapoleonischen Zeit,
der »Brutzeit des deutschen Spießers«, in seiner Häuslichkeit gemütlich
eingerichtet habe und den er im apolitischen »dichtenden Minister«
exemplarisch verkörpert gesehen habe: »Er fühlte: dieser Ausnahmegeist
und diese flachgewalzte Zeit – sie sind dasselbe; er wird ihre Recht-
fertigung sein, wie sie sein Produkt ist.«
Das Verhängnis, das darin bestand, daß Goethe würdevoll »den ge-
weihten Ornat dazu trug als Vorbild für die anderen«, habe Börne ge-
ahnt. »Die Nation, die so gerne ›Vivat‹ ruft und katzenbuckelt, in Reih
und Glied um einen Mittelpunkt geschart, in dienender Pose erstarrt,
würde fortan der Dichtung ihr gesondertes Feld zuweisen, wo sie tag-
und zeitfern waltet, der reverente Geistesgenuß einiger weniger würde
für die abgeluchste Wirklichkeit Ersatz sein müssen.«
In Börnes Anschreiben gegen den politisch lethargischen deutschen
Biedermann, der sich aus Angst vor dem Draußen auch noch unter
das »kosmisch-philosophische« Obdach des Deutschen Idealismus
begeben habe – »eine uranische Kuppel der Diesseitsflucht, eine Fort-
setzung des Subordinationsbedürfnisses ins Metaphysische«
–, erkennt
Kuh einen Vorschein der Nietzscheschen Polemik gegen den dünkel-
haften »Bildungsphilister« wie den Kuhschen »Intelligenzplebejer«,
ob nun in der chauvinistischen Zurüstung des »Potsdam-Deutschen«
oder der des deutschnationalen Couleurbruders: »Börne sah es im
voraus. Und er sah das Umgekehrte: den antisemitischen, kleinen, fei-
gen Schweißmützenbruder, sich mit dem Wort ›Goethe‹ den Mund
ausspülend und für jedes Vergehen seines Ungeists sich mit dem Satz
verwahrend: ›Schon Goethe sagt‹. Er sah die verheerende Wirkung,
die daraus entstehen müßte, daß gerade dieses Volk einen unpoliti-
schen Dichter an seiner Spitze hatte, einen Bürger aus seinem Fleisch
und Blut, als musengekröntes Oberhaupt. Sein Ausnahmsrecht wird,
weiß er, von Stund an von jedem reklamiert, der deutsche Geniequell
noch mehr verstopft werden, ichsüchtiger Schreiberdünkel sich in sei-
nen Schatten stellen, die Bildung den Geist verraten und endlich: Men-
schen, die seine Visage geerbt haben,5 werden es ihm gleichtun und
sich vom mißlichen Strand der Zeit auf noble Gestaltungshöhen
zurückziehen.«
Was Wunder, daß die Deutschen Börne am liebsten, beschwert mit
dem Grabstein »Gesamtausgabe«, in der Gruft sehen wollten – Kuh:
»Sie wollen Börne, den Klassiker – nicht Börne, den Zeitgenossen.«
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien