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Das »Talent zur Schauspielerei« habe sich allerdings »an gewissen
körperlichen Dingen gebrochen«, die bei Kraus »auch wesentlich psy-
chologisch mitspielen und durch die es ihm genau so wie Alexander
Strakosch, der bekanntlich klein und verwachsen, aber ein grandioser
Rezitator war, unmöglich wurde, Schauspieler zu werden, obwohl die
Mischpoche ihm wahrscheinlich gesagt hat: Karl, eine Stimm’ hast du
wie der Kainz.« Heiterkeit im Publikum – die sich Kuh verbittet. Er
wahrt die Grenzen des Anstands, läßt sich nicht dazu hinreißen, Kraus
wegen dessen Rückgratverkrümmung zu verhöhnen, er erwähnt sie
bloß, weil er ihr für Kraus’ psychische Disponiertheit Bedeutung
zumißt.
Mit dem Terminus »advokatorisches Gehirn« benennt Kuh die Eigen-
art Kraus’, alles bis ins letzte Detail beweisen zu wollen und mögliche
Einwände gleich antizipatorisch abzuschmettern; kurz: das »fabelhafte
dialektische Talent zum Rechthaben«, »dieses geradezu Winkeladvoka-
torische, in den Tatbestand eines Beistrichs Versessene«. Kuh: »Ich kann
mir bei der Größe dieses Talents sogar vorstellen, daß, wenn man mit
dem zehnjährigen Kraus eine Debatte hatte: Wem gehört die Feder? Mir
oder dir?, man nach zwei Stunden ohnmächtig mit den Worten zurück-
sank: Ja, dir gehört die Feder!« Im Spott schwingt unüberhörbar An-
erkennung mit. Anerkennung, die Kuh Kraus auch unumwunden zollt:
»Das war die große ernste Qualität des Karl Kraus, die ihn in Wien zu
einer beträchtlichen journalistischen Erscheinung hätte machen können.
Wenn Karl Kraus als solche Erscheinung rubriziert wäre, wenn er nichts
anderes wäre, so würde ich ihn unbedingt anerkennen, wie ich es in
diesem Umkreis, in diesem Bezirke, in diesem Ausmaß auch tue.«
Was diese Begabungen nun so durchschlagen habe lassen, sei die
böhmische Herkunft, die Kraus in Wien, in der »verschlampten und
verschleimten« Wiener »Kulturatmosphäre«, nie restlos heimisch habe
werden lassen, das »sozusagen Pragerische in ihm«, die »kalte abwei-
sende Gedankenschärfe«: »Seine bösen – hier im guten Sinn ›bösen‹ –
Fremdlingsaugen, sein wunderbarer Geruchssinn des Menschen, der
mit dieser Atmosphäre teils verwandt, teils ihr gerade entgegengesetzt ist,
befähigten ihn, der psychologische Ankläger zu sein, der Angreifer mit
der Schauspielerei und der Kenntnis des angegriffenen Objektes.« Kuh
rechnet ihm diese Fähigkeit als »ästhetischlokales Verdienst« an.
Und was Kraus zum Idol seiner Anhänger mache, sei die »Grenz-
erscheinung«, die er darstelle. Aus demselben Milieu stammend, aber
doch unvergleichlich begabter, »genauso detektivisch, genauso unsicher,
genauso demaskierend, genauso auf allen Kreuz-und-quer-Pirschgängen
das Jüdeln im Kosmos rings hörend, genauso geartet wie sie, gewisser-
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien