Seite - 206 - in Anton Kuh - Biographie
Bild der Seite - 206 -
Text der Seite - 206 -
206
losigkeit« oder »Entgleisung« rubriziert wird selbst von jenen, die jeden
Beistrich des Meisters um und um wenden, um nur ja des vielfachen
Schriftsinns teilhaftig zu werden, die provokante Maßregelung, die
Kuh beim anfänglichen Wirrwarr im Saal an die krakeelenden Kraus-
Anhänger adressierte: »Ich sehe leider: ob Hitler, ob Karl Kraus
– es ist
dasselbe«, ohne daß sie sich die Situation im Mittleren Konzerthaussaal
an jenem Abend des 25. Oktober 1925 vergegenwärtigten. Kuh ist es
nicht um eine Identifizierung Kraus’ mit Hitler zu tun, er meint den
Krawall. Vor dem Hintergrund tagtäglichen Nazi-Radaus, tagtäglicher
Übergriffe deutschnationaler Studenten auf jüdische Kommilitonen
und Professoren an den Universitäten ist der Vergleich mit den krakee-
lenden Kraus-Anhängern nur naheliegend.
In seiner Replik auf Berthold Viertel unter dem Titel »›Verjährtes
Lob‹« räumt Kuh ein, »daß der Wiederabdruck jenes Aufsatzes nicht
den sanftesten Absichten entstammte, ja geradezu den von Kraus jahr-
zehntelang geübten Zweck der Ärgererzeugung verfolgte«, um gleich
darauf in die Offensive zu gehen: »[I]st Herrn Viertel diese Methode, die
Freunde und Verehrer eines Angegriffenen ungefragt als Schriftzeugen
für das Angriffswerk heranzuziehen, blamable Verehrungsbriefe her-
vorzukramen, unerwünschte Atteste auszubreiten, ganz unbekannt?
Und weiß er es wirklich nicht, daß ich hier nur der bescheidene, un-
zulängliche Schüler seines Meisters bin? / Daß er seinen vor sieben
Jahren geschriebenen Aufsatz – der Autor war damals den Kinder-
schuhen bereits entwachsen
– als ›verjährtes Lob‹ bezeichnet, ist ja auch
nur Kraus-Kopie. Wenn sich irgend etwas nicht ad maiorem gloriam
seines Gottes verrechnen läßt, bekommt es den Stempel ›verjährt‹. Die
Jünglingsbegeisterung Karl Krausens für Otto Ernst – verjährt; die
Huldigungsbriefe an Harden
– verjährt; die Entdeckung Werfels
– ver-
jährt; die Mitarbeit an der ›Neuen Freien Presse‹ – verjährt; die Be-
schimpfung der ›A.-Z.‹ – verjährt; Victor Adlers Ruf: ›Verleumder!‹ –
verjährt; die Verbeugung vor den Marineuren und Militaristen in
Pola – verjährt; die Bezeichnung des Kriegsmanifestes Franz Josefs als
gewaltigstes Zeitdokument16 – verjährt. Alles verjährt. In der von mir
als ›Itzig-Hierarchie‹ bezeichneten hysterischen Zone reimt sich eben
folgerichtig ›Verehrung‹ auf ›Verjährung‹.«17
Verjährt offenbar inzwischen auch die Freundschaft von Kuh und
Viertel, mit dem er in Prag Umgang gepflegt hatte.18
zurück zum
Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien