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ten; am Conférencier, der, statt Witzeleien gut vorzutragen, Ernsteleien
scharf pointiert (und glaubt: der Gebrauch der Worte ›Europa‹ oder
›Stresemann‹ zum Wortspielzweck sei der ›politisierte Geist‹); an der
Weltanschauungs-Tänzerin, deren Anmutslosigkeit seinem Stil endlich
so zugänglich ist wie seinem Werben; kurz an jeglichem Ehrgeiz in jeg-
licher Verkleidung! / Das Hübsche, Edle, Liebenswürdige, Natur-
Geniale läßt ihn kalt. Und dann am meisten, wenn er
… zugewanderter
Österreicher ist. So verlangt’s nämlich das eherne, unbeugsame Gesetz
der Mimikry. / Was macht nun den Snobbismus hierzulande zu einem so
unschöpferischen Circulus vitiosus? / Ich habe es einmal in dem Bei-
spiel gesagt: ›Es gibt nichts Lächerlicheres, als wenn in einem Haus, wo
im Parterre gerade einer unschuldig hingerichtet wird, im ersten Stock
Leute heißgierig über Thomas Mann, Piscator, Strawinsky und den
neuen Rhythmus debattieren.‹ / Der erste Stock: das ist das Deutsch-
land des Snob; das Parterre: das ist die politische Wirklichkeit. Und
diese Verbindungslosigkeit der ›ebenen Erd’‹ zum ›ersten Stock‹, dieser
Irrglaube, es gäbe Werte und Wirklichkeiten jenseits der Welt, in der
wir täglich essen, atmen, leben – das ist es, wodurch der Ehrgeiz des
Plebejers Selbstzweck werden und den armen Snob widerstandslos ins
Schlepptau nehmen darf!«89
Der Rezensent des »Hamburger Fremdenblatts« unter dem Titel
»Berlin hat eine neue Sensation«: »Was Anton Kuh 120 Minuten lang
jede Minute Neues einfällt, davon machen andere 120 Bücher
– und fin-
den doch aus Überlegung nicht eine der blendend sitzenden Formulie-
rungen wie Kuh aus purer Improvisation. Das saust nur so vorüber. […]
Kuh spricht und spricht, immer in neuer Abwechslung, definiert durch
Anekdote, beweist durch Mimik. In schlagender Parodie trifft er jeden
Modeton und erledigt ihn durch bloße Treffen. Aber vor allem: er ist
scharmant […], und was er an amüsanten Invektiven und ohne Namens-
nennung hinausjagt, ist niemals anmaßendes Richterurteil, denn er nimmt
sich selbst gar nicht aus. «90
Von einer »neuen Sensation« kann 1928 längst nicht mehr die Rede
sein. Aber begeistert sind wieder einmal alle Rezensenten der Haupt-
stadt-Zeitungen.
Einen Monat darauf frotzelt Kuh in der Urania »die Prager,
d. h. eine stattliche Anzahl sogenannter Intelligenter, die un-
bedingt dabei sein wollten […]. Sie lachten ihm Beifall und
merkten nicht, wie sehr er sie frotzelte; das spricht aber weni-
ger gegen ihre Intelligenz als für seine Gerissenheit. […] Er
schimpfte […] auf die Wiener, die Monarchie und seinen über-
schätzten Gegner Karl Kraus; überschätzt natürlich nur deshalb,
Prag,
Urania,
Großer Saal,
14.1.1929,
20 Uhr:
Wien – Prag –
Berlin.
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien