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weil er sein, Anton Kuhs, Gegner ist.« Seinem treuen Prager Publikum
streut er süffisant witzelnd stachelige Rosen: Der Saal sei immer dann
ausverkauft, »wenn entweder vom Jud oder etwas Nackigem die Rede
ist«.91
Selbst wenn ein Vortrag unter dem Titel »Anton Kuh liest Zeitung«
angekündigt ist und spezifiziert wird, Kuh werde dem Publikum aktuelle
Zeitungsberichte mit Randbemerkungen vorlesen, dann hat der zwar
ein paar Zeitungen auf dem Vortragstisch liegen, er liest auch ein wenig
darin, aber ganz zwischendurch, um dann sogleich das angerissene
Hauptthema, die »Schlacht um Krausterlitz«, also »eine Art Auseinan-
dersetzung mit Karl Kraus und Fritz Austerlitz, die so lange Schulter
an Schulter geschimpft haben, bis sie im Kampf um die Vorherrschaft im
Reiche der Insulten sich als erbitterte Feinde gegenüberzutreten began-
nen«, auf ein Nebengeleise zu schieben, »und auf einmal wurde aus einer
halb politischen, halb literaturcaféatmosphäreerfüllten Stichelei eine von
Witz und nicht gewöhnlicher Tiefe des Erkennens sprühende Kritik
der Zeit, ihrer Gesichter und ihres geistig-künstlerischen Niveaus, mit
besonderer Berücksichtigung österreichischer ›Belange‹ und deutscher
Mischung von Humanismus und Materialismus, von Novalis-Mystik
und ›Metropolis‹-Geschäft, von Romantik- und Betonseele«92.
So kommt Kuh von den Wiener Pressequisquilien und den
heiklen Wiener Befindlichkeiten auf das Antlitz der Zeit zu
sprechen und dessen Analyse, die »Ponemologie«, wie er sie in
ironischer Vermischung von Wissenschaft und Jargon nennt;
auf den »Rest, den die Flut liberaler Mediokrität, die in dieser
Zeit alles umspült, noch nicht aus dem Hirn gewaschen hat«.
So zeigt er »an der Hand des Erfolges gewisser jenseits des
Donaukanals geborener Geschäfteriecher, wie sie es durch richtiges
Erkennen der Wandlung deutschen Wesens in Berlin ›zu etwas gebracht
haben‹: sie verstanden es, ihr Ohr an die Sehnsucht der deutschen
Mittelschicht zu legen, deren Majorität bestimmend sei, die Synthese
von ›deutschem Gemüt‹ und ›deutscher Brücke‹, zwischen Novalis und
A. E. G., herzustellen, das Herz von Heidelberg mit 50 %iger Nacktheit
des weiblichen Körpers zu mischen und in einer neuen Gartenlauben-
erotik den Schnittpunkt zweier deutscher Wesensordinate zu finden«.
So thematisiert er die Besetzungen hervorragender Stellen des Wiener
Kunstlebens
– etwa die Berufung Clemens Krauss’ zum Musikdirektor
der Wiener Staatsoper
–, die die Eroberung Wiens durch Graz deutlichst
dokumentieren; Bruno Walter, den der »Bundesverantwortungsgeist«
nur deshalb ablehne, »weil seine Bartkotelletelosigkeit wahrscheinlich
doch allzudeutlich die Rasse verrate«; Berlin, an das er sein Herz ver-
Wien,
Konzerthaus,
Mittlerer Saal,
18.1.1929,
19.30 Uhr: Anton
Kuh liest Zeitung
(mit
entsprechenden
Randbemerkungen)
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien