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Berechtigung letzten Endes darin, daß es das letzte Stück Abendland
in der Welt ist.«53 – »Herr, gib uns unser täglich Barock« hatte Karl
Kraus schon Ende 1922 gegen die »Kulturgroßmacht«-Ambitionen der
Salzburger Festspiele geätzt. Auf die skurrile Selbsteinschätzung und
Selbstüberhebung
– Aufgabe des österreichischen Stammes sei die Mis-
sionierung der nationalsozialistischen Deutschen durch den »besseren
Deutschen« aus Österreich – die staatliche Souveränität Österreichs
gründen zu wollen sollte sich jedenfalls als fatal erweisen.54
Kraus war, mit Graf Saurau, einer der wenigen, die der »Österreich«-
Euphorie wenig abgewinnen konnten: »das österreichische Antlitz der
Wurstigkeit, die sich so lange an das fremde Rückgrat angehalten hat,
drängt sich doch in seiner vollen Verächtlichkeit vor und umso wider-
licher in dem Fallotenstolz einer schäbigen Valuta, die dem ruinierteren
großen Bruder die kalte Schulter zeigt.« Beschämend eine Situation,
»wo diesem Deutschösterreich die Zurücksetzung des Deutschtums
zustattenkommt und man in Gefahr ist, als Angehöriger eines Muster-
knabenpensionats von der Antipathie gegen jenes zu profitieren«; un-
appetitlich und »seit jeher eine Anmaßung« der »Überlegenheits-
anspruch gegen Berlin«.55
Was »das Österreichische«, »den Österreicher« ausmache, darüber
herrscht ansonsten von weit links bis weit rechts seltene Einmütigkeit.
Oskar A. H. Schmitz in seinem schmalen Bändchen »Der österrei-
chische Mensch« (1924): »barock, sinnlich, katholisch, aristokratisch
und gemeinschaftlich«, übernational, »natürliche Brücke zwischen Ost
und West«.56 Anton Wildgans in seiner »Rede über Österreich«: Das
Deutschtum des »österreichischen Menschen« sei »durch die Mischung
vieler Blute in ihm […] konzilianter, weltmännischer und europäi-
scher« als das reichsdeutsche, im Österreichertum sei »das mensch
liche
Herz und die menschliche Seele« bewahrt, der Österreicher sei »irgend-
wie eine Künstlernatur«57 – das »Volk der Tänzer und der Geiger«58
eben. Das Editorial der Sondernummer »Österreich« der (Ber liner)
»Literarischen Welt« vom 15. August 1930 mit dem frohgemuten Titel
»Österreich in Ewigkeit«: »ein Hauch von Slavischem, ein Glanz von
Italienischem«.59 Ernst Karl Winter, Sozialwissenschaftler, Legitimist
und ab Feber 1934 kurzzeitig dritter Vizebürgermeister Wiens, der sich
als unorthodoxer Rechter für eine breite Volksfront von den Mon-
archisten bis zu den Kommunisten zur Abwehr des Nationalsozialis-
mus stark macht, strich in einem Referat im Wiener »Kulturklub«
mit dem Titel »Der österreichische Mensch« im April 1936 eine – un-
eingeschränkt positiv besetzte – »Affinität von Österreichertum und
Judentum« heraus.60
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien