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Wobei – »Der Deutschösterreicher als Kulturmensch steht und fällt
mit Wien«, steht nicht bloß und nicht erst bei Oskar A. H. Schmitz zu
lesen61, schon Robert Müller findet in einem »Der letzte Österreicher«
betitelten Essay in der »Neuen Rundschau« vom Juni 1923 »das Öster-
reichische« nur mehr im Wiener inkarniert mit seinem unverkennbaren
»Zug ins Italienische« und seiner »slawischen Grunddominante«
– der
Rest des Landes sei in das »bajuvarische Element zurückgeschlagen«.62
Auch Kuh wird
– beinah wider besseres Wissen
– nicht müde, bis in die
späten 1930er Jahre die Legende vom goldenen Wiener Herz zu ver-
breiten, obwohl ihm längst klar ist, daß die »Vermünchnerung des
Wiener Bürgers« schon in die Zeit der Regentschaft Karl Luegers fällt,
der den »Sumper präpotent und aggressiv gemacht hat«.63
Der Wiener ist allerdings im Begriff unterzugehen. Franz Blei gibt
seine Eindrücke von einem »Besuch in Wien« am 14. März 1928 im
»Berliner Tageblatt« wieder: Überall, wo der Bund sich breit mache in
dieser Stadt, der Geist der Hinterwäldlerei! »Nun, es wird nächstens
wohl immer noch ein Wein sein, aber die Wiener wern gewesen sein,
ich meine der bewegliche, erfinderische, launige Geist der Wiener, das
Mousseux im deutschen Geiste* wird nicht mehr sein, aber so was wie
ein säuerlicher kleiner Apfelwein, wie ihn die Selbstzüchter zu trinken
verurteilt sind.»64 Die »Antwort aus Wien«, in der sich »Dr. Friedrich
Schreyvogl«, späterhin federführend an der »nationalsozialistischen
Flurbereinigung der österreichischen Literatur«65 beteiligt, drei Wochen
darauf strikt dagegen verwahrt, daß Blei Wien und Österreich die Zu-
kunft abspricht, wächst sich zu einem flammenden Plädoyer für den
Anschluß aus, der keineswegs die einzige Hoffnung auf Errettung aus
der alpenrepublikanischen Tristesse wäre, wie Blei geätzt hatte – »So
wartet die Wiener Braut auf den Berliner Bräutigam, ängstlich auf ihr
weißes Kleidchen bedacht und daß sie das nette bräutliche Lächeln
nicht verliere, ihren einzigen Besitz, ihre kostbare Mitgift« –, sondern
den »Weg zur endlichen Gestaltung der deutschen Nation und damit zu
ihrer sichersten Weltgeltung« frei machte. Die Rolle des »Österreicher-
* Hermann Wendel auf eine einschlägige Umfrage im Feber 1929: »Wo
Österreichs Zukunft liegt? Nur in der Vereinigung mit der deutschen Re-
publik! / Dann, nach dem Anschluß, fällt Österreich die besondere Auf-
gabe zu: / ein Karawanentor nicht nur für den wirtschaftlichen, sondern
auch für den geistigen Verkehr Deutschlands mit Südosteuropa zu sein, /
dem Blut des deutschen Menschen die halbe Flasche Sekt zuzuführen, die
ihm nach einem Wort Bismarcks fehlt« ([Umfrage] Wo liegt Österreichs
Zukunft? In: Neue Illustrierte Zeitung [Wien], Jg. 34, Nr. 77, 25.2.1929,
S. 1-2, Hermann Wendels Stellungnahme S. 2).
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien