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In Bruchstücken aus dem »Vorwort zur nächsten Auflage (a. d. Jahr
2030)« legt Kuh hofrätlich sordiniert dar, warum er seine Aperçus
»Aussprüche« genannt hat. Zum einen seien sie »Überreste eines gerede-
ten Daseins«; sodann aber wollte er sie geflissentlich »von der Kunstart
der als ›Aphorismen‹ bezeichneten, aus der Selbstbespieglung der Spra-
che entstandenen Formeln unterschieden wissen«. Er sei ein »Chauvinist
der Wirklichkeit. Man darf also glauben, daß ihn jeder Gemeinplatz, ja
Kalauer, der diese ins Herz traf, eine tiefere Sentenz dünkte als der beste
Aphorismus.« Und warum der Titel »Physiognomik«? – »Bildete er
doch, indem er seine Aussprüche in einer Art Notwehr aus den Gesich-
tern seiner Zeitgenossen riß, die Physiognomie jener Zeit nach. […] Es
war zwischen Torschluß und Anfang. Zwei Kulturen lösten einander
ab. Der adelige Mensch wich dem gemeinen, der Geist streckte die
Waffen, der Plebejer regierte das Zwischenreich.«4
Kuh brilliert wieder in der Herabsetzung zeitgenössischer Geistes-
größen, entfaltet seinen beißenden Witz gegen das Klebrige des »Be-
triebs«, gegen das Spießertum aller Zonen und Grade und insbesondere
gegen die Diktatur der Mittelmäßigkeit sowie die Hinundrücksichtelei
des politischen Juste milieu: »Lieblinge des Zeitalters: der Zuschneider
des Antonius, das Stubenmädel der Kleopatra«; »Physiognomie der Zeit:
Das Gesicht des Führers ist identisch geworden mit dem der Geführ-
ten«; »Klassenumschichtung: den heroischen Geschichtsprofessor hat
der martialische Bureaudiener abgelöst«; »Wenn ich ein Zeichner wäre,
würde ich versuchen, aus einem nebeneinandergestellten Fragezeichen
und Ausrufzeichen ein Gesicht zu entwerfen. Man hätte damit das
Lineament aller Plebejergesichter: den Zweifel in die Beachtetheit und
den Schrei nach Beachtung«.
In Kapiteln wie »Res publica oder Der Bürger«, »Physiognomik oder
Der Zeitgenosse«, »Rencontre oder Der Plebejer«, »Vita oder Der
Mensch« versammelt er kulturpessimistische Glossen: »Das kindische
Europa! Es glaubt, der Mensch im Smoking lasse sich retten, wenn man
den Smoking nur fest hält. Um ihn nicht aus der Hand zu lassen, opfert
es die Menschheit«; »Wunschtraum der Menschheit: Romantik mit
Wasserspülung«; »Film und Radio – zwei Errungenschaften und die
gleiche Bestimmung: daß sie, entgegen ihrem Sinn, die Wirklichkeit zu
verbreiten, die Unwirklichkeit vermehrt haben«; »Die versinkende Kul-
tur der Gegenwart klammert sich an den Strohhalm, aus dem man den
Cocktail schlürft«; ätzende Kommentare zum Befinden der zeitgenössi-
schen Publizistik: »Mit achtzehn ist jeder von uns ein Genie, mit acht-
undzwanzig jeder ein Redakteur«; »Der Leitartikel zum Radikalismus:
›Nun – es wird nicht so heiß gegessen, wie ich die Hosen voll hab’‹«;
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien