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erschließt sich für Kuh die Person: Wenn er etwa eine Rede Fürst
Fürstenbergs im österreichischen Herrenhaus als militärischen Tages-
befehl charakterisiert, in dem die »offiziersschneidigen rrrs« in Worten
und Phrasen wie »Granitblock«, »Strom der Hoffnung« und »Die
Krone ist ein Band« wie Sägespäne zu Boden fallen;29 oder wenn er
Adolf Hitlers Idiom, »his Hausmaster’s voice«,30 analysiert: »ein Deut-
scher, der so spricht, wie eine Hannoveraner Hausgehilfin sich vorstellt,
dass ein Münchener Handlungsreisender reden würde, wenn er aus Eger
im Sudetenland nach Wien ausgewandert ist; und alles in allem: ein
Unterbeamter, der alle verwickelten Phrasen des österreichischen Amts-
stiles geschluckt hat, bevor er in der Wiege des erste mal ›Mama‹ rief.«31
So wie er allerfeinste mimische und gestische Valeurs mit traum-
wandlerischer Sicherheit erfaßt, hat er auch ein allerfeinstes Gehör für
Tonfälle und Sprachgesten. Schauspieler, so Kuh, haben gewisse Worte
und Gebärden, in denen sie mit merkbarem Vergnügen ausruhen, »doch
was kommt der Freude gleich, mit der sie das Wort heiraten ausspre-
chen?!
… Wie ein dreiteiliges Pfauenrad steigt es aus ihrem Schlund, ein
Dreiklang der Trivialität, die sich an der eigenen Feierlichkeit labt. […]
dann spüren sie, daß sie das Haus bei seinem atemstockenden, bürger-
lichen Herzen gepackt haben. Heiraten, auf der Bühne ausgesprochen,
ist immer eine Rakete.«32 Oder wenn er den Wiener Polizeipräsidenten
Johann Schober bei einer Zeugenaussage vor Gericht schildert: »Er
eilte auf zwei langen Taumelbeinen, deren Ungradheit der gravitätische
Bratenrock kaum zudeckte, in den Saal; jeder Zoll ein Profoß, kein
Präsident; in seinem Gesicht malte sich erdfahl die Verzagtheit des
Augenblicks. Er rezitierte seine Aussage in einem Ton submissester
Sattelfestheit, wie ein Vorgesetzter, der als Prüfling dasteht.«33
Kuh versteht es, Persönlichkeiten, Typen auf den Punkt zu brin-
gen, etwa Wiener Couleurstudenten beim sogenannten Bummel, dem
»Brauch, seine Gesinnung paarweise äußerln zu führen, in jenem ver-
träumten, gottgelassenen Schlendertrott der inneren Kraft, der uns aus
der Kinderzeit als Ablenkung von gewissen Gerüchen bekannt ist« –
»Einherwackern« nennt er diesen Schritt.34 Oder den österreichischen
Bundeskanzler Monsignore Seipel, »k. k. Hof-Hauslehrer a. D.«: »Ge-
sicht und Haltung sind die eines Freiplatz-Zöglings, der in guten Häu-
sern Unterricht erteilt und voll geducktem Ehrgeiz in deren Winkel
schaut. Gefahr von morgen.«35 Oder den Backfisch (»Sein Körper zeigt
die possierlichen Unarten des Übergangs, vorn präsentiert er mit Hoch-
druck seine Weiblichkeit, im Rücken brennt ihm der mütterliche Zuruf.
›Halt dich grad!‹«)36, das k. k. Ballettmädel, das sich auswächst zum
Typus des dünkelhaften beamteten Künstlers37, die Prater-Ausrufer38,
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien