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finden sich gut hundert Freunde, Kollegen und Sympathisanten ein, um
Abschied zu nehmen.
Ossietzky hatte sich im November 1931 für einen 1929 in der »Welt-
bühne« erschienenen Artikel Walter Kreisers, der Machinationen der
Reichswehr aufgedeckt hatte, als verantwortlicher Redakteur vor dem
Reichsgericht in Leipzig wegen »Landesverrat« und »Verrat militäri-
scher Geheimnisse« zu verantworten. Kreiser hatte unter dem Pseud-
onym Heinz Jäger und dem Titel »Windiges aus der deutschen Luft-
fahrt«22 über die unter Deckbezeichnungen wie »Erprobungsabteilung«
getarnte heimliche Aufrüstung der deutschen Luftfahrt geschrieben, die
laut Versailler Vertrag verboten war, und aufgedeckt, daß dafür vom
Reichstag für die zivile Luftfahrt bewilligte Gelder verschoben wurden.
Obwohl das Auswärtige Amt auf Anfrage von Ossietzkys Anwalt ein-
gestehen muß, daß von »Geheimnisverrat« im inkriminierten Artikel
keinesfalls die Rede sein kann, da der Haushaltsausschuß des Reichstags
das Rüstungsprojekt in öffentlicher Sitzung erörtert hat, wird auf Druck
des Reichswehrministeriums der aus dem Kriegsjahr 1914 datierende
Spionageparagraph aus dem Hut gezaubert, um die Öffentlichkeit aus
»sicherheitspolitischen« Gründen von der Verhandlung auszuschließen
und Angeklagten wie Anwälten strikte Schweigepflicht aufzuerlegen.
Das mediale Interesse am sogenannten »Weltbühne«-Prozeß (17. und
19.11.1931) war enorm, und in öffentlicher Verhandlung wäre die Reichs-
wehr vor aller Welt bloßgestellt gewesen.
Ossietzky steht vor dem berüchtigten Reichsgerichtsrat Alexander
Baumgarten. Der hat im Jahr davor jenen Hochverratsprozeß vor dem
IV. Strafsenat des Reichsgerichts geleitet
– gegen drei Ulmer Offiziere,
die entgegen einem für Reichswehrangehörige geltenden Verbot, sich
politisch zu betätigen, für die NSDAP geworben hatten –, in dem das
Gericht am 25. September Adolf Hitler als sachverständigen Zeugen zu
der Frage vernommen hat, ob die NSDAP eine »umstürzlerische« Partei
sei. Hitler benutzte die Gelegenheit für eine zweistündige Propaganda-
rede, in der er erklärte, seine Partei
– seit den Wahlen vom 14. Septem-
ber hinter der SPD die zweitstärkste Fraktion im Reichstag
– wolle auf
legalem Weg die Macht im Staat übernehmen, und die in die Drohung
mündete: »Wenn unsere Bewegung siegt, dann wird ein neuer Staats-
gerichtshof zusammentreten […], dann allerdings werden auch Köpfe
in den Sand rollen.«*
* Die »Boxheimer Dokumente« – detaillierte Pläne der hessischen NSDAP-
Führung zur gewaltsamen Installierung einer faschistischen Diktatur (inklu-
sive Errichtung von Konzentrationslagern sowie Einsetzung von Stand-
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien