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Daß das Reichsgericht »einem hergelaufenen Narren, einem Groß-
maul und Poltron Gelegenheit geboten [hat], eine Brandrede zu hal-
ten«, hatte Ossietzky – vor dem Hintergrund der Erfolge der NSDAP
bei den Septemberwahlen – sarkastisch kommentiert: »Das Reichsge-
richt ahnt den Herrn von morgen.«23
Daß es Reichwehr und Reichsgericht nun darum zu tun ist, an Os-
sietzky ein Exempel zu statuieren, ist nur zu deutlich: Die Gutachter
des Reichswehrministeriums müssen zwar vor Gericht bestätigen, daß
»Windiges aus der deutschen Luftfahrt« in der Sache der Wahrheit ent-
spricht. Das Gericht lehnt jedoch 19 von der Verteidigung namhaft ge-
machte Zeugen, die bestätigen können, daß die Informationen »in Luft-
fahrtkreisen« längst bekannt sind, ab. Spitzfindig wird der Tatbestand
der Verletzung eines »relativen Staatsgeheimnisses« konstruiert. Den
Vorsatz sieht das Gericht gegeben, der Angeklagte sei schließlich Pazi-
fist. Das Urteil: Eineinhalb Jahre Gefängnis wegen Landesverrats, ge-
nauer: »wegen Verbrechen gegen § 1 Absatz 2 des Gesetzes über Verrat
militärischer Geheimnisse vom 3. Juni 1914«. Ein Willkür-Urteil, un-
mißverständlich. Und es wird auch als solches verstanden – alle repu-
blikanischen Zeitungen sehen in diesem Urteil einen Anschlag auf die
Pressefreiheit schlechthin und protestieren dagegen. »General-Quit-
tung« lautet denn auch der Untertitel von Kurt Tucholskys Abschieds-
artikel »Für Carl v. Ossietzky«.24
Und ebenso wie Tucholsky, dem »markige Abschiedsworte« an die
Adresse eines »so unpathetischen und stillen Kameraden« wie seines
Freundes Ossietzky unangebracht erscheinen, hält Kuh »Rütlischwüre«
für fehl am Platz. Man würde sich damit bloß eine Macht vorgaukeln,
»die man nicht hat und für einige Zeit kaum haben wird«. In gewissen
Zeiten sei die »letzte Notwehrwaffe: das Eingeständnis, dass man macht-
los ist. Die Zustände benennen
– das ist das einzige, was der Machtlosig-
keit übrigbleibt. Man bewirkt damit mehr als durch ganze Papierberge
von Protesten und Beschwörungen, in denen der Willkür ins Gewissen
geredet wird. Man bewirkt: Klärung. / Es ist für Tausende ein schmerz-
licher Gedanke, dass diese Klärung gerade an Ihnen zum Exempel
wird.«
Und wenn Ossietzkys Freunde diesem mit einem zuversichtlichen
»Für die Freiheit und Kraft von morgen!« Mut zusprechen, sieht Kuh
Ossietzky »bei diesen Worten noch melancholischer werden. Sie wissen,
gerichten) für den Fall eines kommunistischen Staatsstreichs –, die Ende
November 1931 bekannt werden und hohe Wellen schlagen, lassen ohnehin
keinen Zweifel.
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien