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schändlichen Machtgebrauch anheimgegeben – dies erst heisst ›über
der Politik‹«. »Bayreuth, das Oberammergau des Antichrist, ist die
musikalische Arena, in der sich die Macht sonnt. Salzburg ist, in seinem
ursprĂĽnglichen wie heutigen Sinn, gegen solche gemeine Macht erbaut
worden. In Bayreuth darf blĂĽhen, was sich der Macht beugt; in Salz-
burg, was sich nicht um sie kümmert.«
Kuh legt Toscanini, als der das Festspieldirektorium 1937 vor die
Alternative »Ich oder Herr Furtwängler« stellt, die Worte in den Mund:
»›Herr Furtwängler soll sich entscheiden!‹ rief er. ›Bayreuth oder Salz-
burg! – beides geht nicht.‹ […] ›Nein!‹ rief er aus, ›es geht nicht, Herr
Furtwängler kann nicht gleichzeitig die Früchte von Salzburg pflücken
und den Lorbeer von Nürnberg auf dem Haupt behalten! […] Das
Werk von Salzburg ist ein Werk der Humanität, des musikalischen
Europäertums. Wer sich dazu nicht bedingungslos bekennen kann oder
darf, der soll seine Hand davon lassen!‹«24
Am Vormittag des 27. August, da Furtwängler ab 11 Uhr im Fest-
spielhaus Beethovens Neunte dirigierte, »trafen aus Reichenhall, Berch-
tesgaden und sonstwo in Massen hakenkreuzbewimpelte Autobusse in
Salzburg ein. […] Dann stieg die Symphonie […]. Furtwängler nimmt
das Werk zu breit, zu weihrauchig-verschwommen, sagten sie; er lässt
sich von den Wogen tragen, statt sie zu beschwören und aufzupeitschen;
er duselt in olympischen Höhen; er reisst sich das reichserwünschte
›Gefühlsmässige‹ nur so aus dem Leib – es ist faustische Gebärde statt
Beethovens MusikÂ
…«25 Zwei Tage »nach dem Krach im Festspielhaus
dirigierte [Toscanini] die c-Moll-Symphonie des Deutschen, Ăśber-
Deutschen Johannes Brahms. Das Parterre sah ein bisschen anders aus
als am Furtwängler-Tag. Statt der ausgespienen Autobus-Fracht wirk-
liche Hörer, Musik enthusiasten der ganzen Welt. Und statt eines ver-
zĂĽckten Flammen
beschwörers mit Rückfahrt-Karte ins Dritte Reich:
die fast grimmige Sachlichkeit dieses feinen Mannes, fĂĽr den Musik
idealer Militarismus ist: kampfbereite, tönende Exaktheit. […] wie eine
rauschende Polemik mit der furtwänglerischen Neunten.«26
»Österreich?Â
– Eine Operette mit tödlichem Ausgang.« Dieses »bit-
tere Wort«, das Anton Kuh 1930, gerade aus Wien kommend an der Pa-
riser Gare de l’Est eingetroffen und nun vor einem Glas Bier bei »Heydt«
sitzend auf die Frage »Und wie geht’s denn in Österreich?« entfuhr,
kommt dem mit dem Pseudonym »Erasmus« zeichnenden Journalisten
wieder einmal in den Sinn, als er in der Nacht von Freitag, den 11., auf
Samstag, den 12. März 1938, die unter Finis Austriae in die Weltge-
schichte einging, mit Freunden gespannt vor dem Radioapparat verbringt
und den abrupten Wechsel von Hiobsbotschaften und Walzern, Prokla-
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter SchĂĽbler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien