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ber 1938 in der Deutschen Botschaft in Paris in der Nazi-Propaganda als
unmittelbarer Anlaß für den Ausbruch des »spontanen Volkszorns«,
soll heißen der »Novemberpogrome«, hingestellt wird und der am
18. Juli 1940 von Frankreich an Deutschland ausgeliefert wird.49 Er-
sucht die USA nach der Vernichtung der widerständigen tschechischen
Hochschulen durch die Nazis im November 1939 um Gastfreundschaft
für die vertriebenen jüdischen und liberalen Gelehrten.50
Im August 1940 schreibt Kuh sein geliebtes Wien ab: Als der durch
Baldur von Schirach abgelöste ehemalige Reichsstatthalter und Gauleiter
von Wien, Josef Bürckel, am 10. August 1940 zum Ehrenbürger der
Stadt Wien er- und der Dr.-Ignaz-Seipel-Ring (der heutige Dr.-Karl-
Renner-Ring) in Josef-Bürckel-Ring umbenannt wird, ermuntert ihn ein
Bekannter, dieses Ereignis zu kommentieren. Er wimmelt ab: »›Hören
Sie mir mit Wien auf! Sie wissen, dass es diese Stadt schon lange nicht
mehr gegeben hatte, bevor sie für uns aufhörte.‹« Das Thema »Bürckel-
Ring« gebe nichts her
– außer der Erkenntnis, wie wenig ihn die Stadt,
in der man ungestraft die »Rülps-Interjektion: ›Bürckel!‹ auf die Ring-
straße schmieren darf, noch angeht – ›und wieviel mehr dagegen der
Central-Park, der Times Square und die Fifth Avenue.‹«51
Franz F. Elbogen, ein guter Bekannter aus »Herrenhof«-Tagen, be-
richtet im Januar 1940 von einem Besuch bei Kuh »in seiner sehr vor-
nehmen Einzimmerwohnung52, wo er mit der ihm ehelich angetrauten
Brünnerin lebt. (Sie war nicht zuhause, da sie arbeitet.) Er lag wieder
mal im Sterben, mit einer schweren Herzattacke, die er sich durch einen
Konflikt mit dem Maler Mopp [d. i. Max Oppenheimer] zugezogen
hatte. Der Arzt oder besser die Ärzte, denn er scheint eine größere
Auswahl davon zu beschäftigen, haben ihm strenge Bettruhe bei Rauch-
und Trinkverbot verordnet. Das hinderte ihn nicht, jeden Augenblick
einen langen Zug aus einer an Stelle eines zu füllenden Gefäßes unter
dem Bett befindlichen Whiskyflasche zu machen, eine Zigarette an der
anderen anzuzünden und im Bett wie eine Heuschrecke auf und ab zu
springen. Er erzählte stets drei Geschichten gleichzeitig, so daß man –
erfreulicher Weise
– aus keiner klug wurde, aber eine köstlicher als die
andere. Z. B. die Geschichte seiner Eheschließung, eine halbe Stunde
vor Abgang seines Schiffes nach Europa, wohin er, selbstverständlich
ohne Gattin – ›die Hochzeitsreise des Onanisten‹ – fahren wollte, um
die Grete zu besuchen; wie er dann im letzten Moment vom fahrenden
Schiff wieder absprang, den Krieg vorausahnend, einen Herzkrampf
simulierte, um den Fahrpreis zurückzubekommen und abends plötz-
lich seine Gemahlin vom Büro abholte; wie er seinen Bruder
– den seit
Jahrzehnten von der Familie wegen seiner bürgerlichen Existenz in
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien