Seite - 110 - in Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
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nisse, wohingegen das Skalpell sowohl für Bill-
roths chirurgische Fertigkeit als auch für des-
sen praktische Vermittlung an die Studierenden
steht.
In Billroths Kleidung spiegelt sich diese Du-
alität von theoretischem und praktischem Leh-
ren ebenfalls wider. Denn im Gegensatz zu den
vorherigen Porträts trägt Billroths Abbild hier
den Chirurgenkittel, der ihn eindeutig als prak-
tizierenden Mediziner kennzeichnet. Mehr als
ein Jahr vor der Enthüllung des Denkmals be-
schreibt ein knapper Pressebericht aus dem Ate-
lier Zumbuschs das fast vollendete Tonmodell:
„Man wähnt, Billroth lebend vor sich zu sehen.
Die überlebensgroße Statue stellt den berühm-
ten Chirurgen auf der Lehrkanzel, im Operati-
onskittel stehend derart dar, daß hinter der Ka-
thederbrüstung der Oberleib nur bis über die
Hüften zu sehen ist. Die auf dem Katheder ru-
hende rechte Hand hält ein Operationsmes-
ser.“22 Die Beschreibung der Skulptur deutet da-
rauf hin, dass die Kombination von Lehrkanzel
und Operationskittel nicht selbstverständlich ist.
Neben dem anerkennenden antikisierenden Ty-
pus von Gelehrten in Toga waren die Gelehrten
in ihren Porträts seit dem Humanismus meist in
Talar und Doktorhut abgebildet.23 Da sich die
Medizin bis ins 18. Jahrhundert als Lehrbuchwis-
senschaft entwickelt hatte, entsprachen die Me-
dizinerporträts weitgehend dieser allgemeinen
Darstellungstradition mit Talar und Büchern als
Attributen. Nur die Anatomengruppenbildnisse
bilden hier eine Ausnahme, doch auch hier tra-
gen die Anatomen entweder ihre akademische
Amtstracht oder aber in Ausnahmefällen nob- le Kleidung und Dreispitz.24 Noch in der zwei-
ten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden sowohl
die Operationen als auch die Sektionen in Stra-
ßenkleidung durchgeführt. Die Einführung des
Operationskittels als erfolgreiche Maßnahme der
Antisepsis erfolgte in Wien erst 1878. Billroth be-
kannte hierzu im Jahr 1889: „Alle Chirurgen tra-
gen jetzt die antiseptische Uniform, das Indivi-
duelle tritt gewaltig in den Hintergrund. Mit
reinen Händen und reinem Gewissen wird der
Ungeübteste jetzt weit bessere Resultate erzielen
als früher der berühmteste Professor der Chir-
urgie.“25 Die neue Standeskleidung der medizi-
nischen Gelehrten weist Billroth als einen zeit-
gemäßen und innovativen Chirurgen aus, der
selbst großen Anteil an der Einführung der an-
tiseptischen Maßnahmen in den Wiener Opera-
tionssälen hatte. Seine Befürchtungen um den
Verlust der Individualität erfüllen sich zumin-
dest in seinem Denkmal nicht, da die wuchti-
ge Statur, die porträthaften Züge und der auf-
merksame Blick sein Standbild unverkennbar
machen.
Im Arkadenhof-Denkmal wurden also zwei
wesentliche Charakteristika eines erfolgreichen,
erinnerungswürdigen Chirurgieprofessors in ei-
nem Porträt zusammengefasst. Zum einen der
Medizinprofessor, der in theoretischen Vorle-
sungen sein fundiertes Wissen an die Studen-
ten weitergibt und zum anderen der lehrende
Chirurg, bei dem die Studenten im Operations-
saal die praktischen Fähigkeiten durch Anschau-
ung und Erproben erlernen. Die Vorlesungen
am Katheder hielt Billroth, so muss man anneh-
men, im bürgerlichen dunklen Anzug mit Gilet
julia
rüdiger110
22 Neue Freie Presse, 19. Januar 1896, Nr. 11280, S. 6.
23 Kanz, Dichter und Denker (zit. Anm. 7), S. 25; M. Füssel, Talar und Doktorhut. Die akademische Kleiderordnung
als Medium sozialer Distinktion, in: Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die
Hochschulen in Europa (hrsg. von B. Krug-Richter/R. E. Mohrmann), Köln/Weimar/Wien 2009, S. 248–249.
24 Kanz, Dichter und Denker (zit. Anm. 7), S. 44; M. Kemp/M. Wallace, Spectacular Bodies. The Art and Science of
the Human Body from Leonardo to Now, Berkeley/Los Angeles/London 2000, S. 31.
25 Zit. nach W. Eckart, Illustrierte Geschichte der Medizin: Von der französischen Revolution bis zur Gegenwart,
Berlin/Heidelberg 2011, S. 143; siehe auch L. Schönbauer, Das Medizinische Wien. Geschichte – Werden – Würdi-
gung, Berlin/Wien 1944, S. 291.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken