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die Rohlings Fälschungen und Entstellungen vor
Gericht entlarvt hatten.30 Im Aktenbestand der
Universität Wien gibt es jedoch keinen Hinweis
darauf, dass dieser Sachverhalt den NS-Studen-
ten bekannt gewesen wäre. Ebenso könnte die
Darstellung syrischer Schriftzeichen, die als heb-
räisch fehlgedeutet worden sein könnten, und ei-
nes siebenarmigen Leuchters im Zierrahmen des
Mosaiks den Anlass für die Beschädigung gege-
ben haben.
Die Studentenführung hatte ihr Ziel er-
reicht: Noch am selben Tag gab Knoll dem Ge-
bäudeinspektor den Auftrag, bis auf eines alle be-
schädigten Denkmäler entfernen zu lassen. Das
mit Eisenlack beschmierte Mosaikdenkmal von
Gustav Bickell sollte hingegen wieder instand ge-
setzt werden.31
Schon am nächsten Werktag stellte Rek-
tor Knoll den Studentenführer Robert Müller
zur Rede, welcher zugestand, dass die gewalt-
same Aktion gegen die Denkmäler mit seinem
Wissen und seiner Zustimmung geschehen sei.
Knoll machte ihm schwere Vorwürfe: Wenn er,
Müller, nicht in der Lage sei, die Disziplin unter
den Studierenden aufrechtzuerhalten, dann wäre
es besser, in Hinkunft überhaupt keine Abspra-
chen mehr zu treffen. Müller hat diese Vorhal-
tungen offenbar kommentarlos hingenommen.32
Dass Knoll disziplinäre Maßnahmen gegen die
Studenten in Erwägung gezogen hätte, ist nir-
gendwo überliefert.
In diesem Zusammenhang muss natür-
lich auf die zeitliche Koinzidenz der geschilder-
ten Ereignisse an der Universität Wien mit den Novemberpogromen von 1938 und ihrer Vorge-
schichte hingewiesen werden. Die Langemarck-
Feier, welche durch jüdische Denkmäler nicht
gestört werden sollte, fand nur einen Tag nach
den von oben gesteuerten Gewaltexzessen der so-
genannten „Reichskristallnacht“ statt. Schon in
den Wochen zuvor waren die Maßnahmen zur
Eliminierung von Juden aus dem öffentlichen
Leben verschärft worden und in Wien häuf-
ten sich seit Oktober antisemitische, pogrom-
artige Ausschreitungen in einer Weise, die an
den Terror der ersten „Anschluss“-Tage erinner-
ten.33 Auch an der Universität Wien wurden mit
Beginn des Wintersemesters 1938/39 antisemiti-
sche Maßnahmen verschärft: Ausnahmslos alle
Juden wurden vom Studium ausgeschlossen und
die bis dahin bestehenden Ausnahme- und Nu-
merus-clausus-Regelungen aufgehoben.34 In die-
sem Kontext betrachtet, fügt sich der „Denkmal-
sturm“ an der Universität Wien in die Reihe von
gewalttätigen Aktionen ein, welche in den No-
vemberpogromen kulminierten.
Unmittelbar nach der Anweisung zur Entfer-
nung beschädigter Denkmäler beauftragte Rektor
Knoll die Gebäudeinspektion, auch die von den
Studenten übersehenen, jedoch im Bericht der
Philosophischen Fakultät genannten Denkmäler
von Adolf Lieben und Eduard Hanslick abzubau-
en.35 In kurzer Folge ergingen weitere Anweisun-
gen, wobei auch die Studentenführung wieder
aktiv wurde: Sie beantragte die Entfernung der
bei ihrer Gewaltaktion verschont gebliebenen
Denkmäler für Carl und Anton Menger, für Josef
Unger, Karl Stoerk und Leopold Oser. Knoll be-
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die „ausmerzung von denkmälern“ im arkadenhof
30 Vgl. dazu Bloch, Erinnerungen (zit. Anm. 20), S. 99–101 (das Zitat Bickells dort auf S. 100). Vgl. auch den Artikel
„Bickell, Gustav Wilhelm Hugo“ in: Encyclopaedia Judaica 4, Berlin 1929. Zu Rohling vgl. S. Plietzsch, Talmud-
Polemik, In: Handbuch des Antisemitismus (zit. Anm. 21), Bd. 3, S. 314.
31 UAW, Amtsvermerk vom 9. 11. 1938, Senat G.Z. 184 aus 1938/39, ONr. 3.
32 UAW (zit. Anm 1).
33 G. Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme und Herrschaftssicherung 1938/39, Buchloe, 3. Aufl. 1988,
S. 397–404.
34 H. Posch/D. Ingrisch/G. Dressel, „Anschluss“ und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studieren-
de der Universität Wien (Emigration – Exil – Kontinuität. Schriften zur zeitgeschichtlichen Kultur- und Wissen-
schaftsforschung, hrsg. v. F. Stadler, Bd. 8), Wien/Berlin 2008, S. 114–115.
35 UAW (zit. Anm. 31).
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken