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JAMES PRADIER UND DIE HOMMAGE AN
DIE GENFER ELITE
Grégoire Extermann
Aus kulturellen, aber auch konfessionellen
Gründen hatte Genf eine schwierige Bezie-
hung zu dem Porträt im öffentlichen Raum.1 Es
ist jedoch das akademische Umfeld, in dem sich
diese Repräsentationsform zuerst manifestierte.
Im 18. Jahrhundert wurden nur gemalte Porträts
von Gelehrten in der akademischen Bibliothek
angebracht, ab dem 19. Jahrhundert in skulptura-
ler Form im Jardin Botanique. Dieser Ort, später
Parc des Bastions genannt, wurde schrittweise zum
Aufstellungsort universitärer Berühmtheiten.
Die folgende Analyse nimmt die erste Gen-
fer Denkmalgruppe in den Blick: die sechs Büs- ten von Professoren vor dem ehemaligen Gebäu-
de der Orangerie (Abb. 1). Es werden die sozialen
und künstlerischen Auswirkungen dieser neuen
Denkmalform studiert, wobei ich mich auf den
Bildhauer James Pradier (1790–1852) konzentrie-
re, der zum Porträtisten der Genfer Eliten wurde.
Die Analyse befasst sich mit der Periode der
Restauration, als Genf die ersten Statuen erhält,
aber noch mit den Werten des Ancient régime
verbunden bleibt, insbesondere mit einer streng
oligarchischen Regierungsform. Dieser Sachver-
halt verleiht der kleinen Republik eine seltsame
Identität in Europa.
genf zwischen ancient régime und restauration:
die akademische bibliothek und der friedhof von
plainpalais
Im 18. Jahrhundert war die monumentale Skulp-
tur in Genf fast inexistent. In Privatbesitz gab es
einige wenige Porträtbüsten der Mitglieder der
finanziellen Elite, hauptsächlich von Jean-Anto-
ine Houdon (Madame de Thelusson, Madame de Vermenoux, Jacques Necker oder Théodore
Tronchin), aber keine im öffentlichen Bereich.2
Ursache für diese Situation ist vermutlich eine
Abscheu oder zumindest ein Misstrauen der cal-
vinistischen Kultur gegenüber der Bildhauerei.
Ich bin Ilse Schwab, Simone Vögtle und Sarah Kinzel sehr dankbar für die Hilfe mit dem Text.
Nicolas Schätti (Centre d’Iconographie Genevoise) verdanke ich die Abbildungen.
1 Die Skulptur in Genf ist wenig studiert, deshalb werden hier nur Generalitäten präsentiert. Eine Synthese in: C.
Lapaire, La sculpture à Genève au XIXe siècle, in: Genava, 27, 1979, S. 101–121. Für das Thema der Kunst in Genf
während der Restauration siehe: M. Natale, Le goût et les collections d’art italien à Genève du XVIIIe au XIXe
siècle, Genève 1980; A. Corboz, La „refondation“ de Genève en 1830 (Dufour, Fazy, Rousseau), in: Genava, 40,
1992, S. 55–85. D. Buyssens, La question de l’art à Genève. Du cosmopolitisme des lumières au romantisme des
nations, Genève 2008.
2 Lapaire, La sculpture à Genève (zit. Anm. 1), S. 101.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken