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Es gibt allerdings eine Ausnahme: das Grab
des Duc de Rohan in der Genfer Kathedra-
le Saint-Pierre (1646).7 Als militärischer Alliier-
ter genoss Rohan den Respekt der Genfer Re-
gierung. So stimmte sie zu, dass die Familie des
Herzogs nicht nur ein Denkmal, sondern auch
eine Statue in der Kirche errichten durfte, was
jedoch mitunter zu ideologischem Widerspruch
führte. Eine Quelle berichtet, dass 1659 katholi-
sche Pilger vor dessen Statue gebetet hätten, im
Glauben, es sei ein Heiliger.8 Man weiß nicht,
ob die Geschichte wahr ist oder ob sie nur für
die Regierung als Vorwand diente, um den Bau
einer Palisade zu rechtfertigen. Es war jedenfalls die einzig existierende Statue in den Genfer Kir-
chen, d. h. zusätzlich zu Saint-Pierre, Saint-Ger-
main, La Madeleine, la Fusterie und Saint-Ger-
vais, und ihre Qualität war, wie eine historische
Aufnahme zeigt, gering.9
Wenn das Beten vor einer Statue als Göt-
zendienst betrachtet wurde, so galt dies auch im
Hinblick auf Grabmäler. Der historische Gen-
fer Friedhof außerhalb der Stadtmauern im Ge-
biet Plainpalais bietet dafür deutliche Beispiele.
Bis zum 19. Jahrhundert waren Grabmäler in-
existent, da der Totenkult verboten war.10 Un-
ter der französischen Besetzung wurde 1804 ein
Dekret zur Genehmigung der Grabsteine erlas-
James Pradier und die Hommage an die genfer elite 271
S. 235); gegen neue Grabmäler im Friedhof von Plainpalais 1818 (D. Ripoll, Ci-gît J. C.: la tombe de Jean Calvin au
cimetière des Rois, in: Il più dolce lavorare che sia: mélanges en l’honneur de Mauro Natale (hrsg. von F. Elsig/G.
Extermann/N. Etienne), Milano 2009, S. 453–457, 453); gegen das Pictet-de-Rochemonts-Denkmal 1825 (Buys-
sens, La question de l’art (zit. Anm. 1), S. 371); endlich gegen das zweite Rousseau-Denkmalprojekt 1826 (ebenda
S. 372).
7 J.-A. Godoy, Le mausolée du duc Henri de Rohan (1579–1638): notes sur son effigie et son armure posthumes, in:
Genava, 53, 2005, S. 123–153. Das Wort „Kathedrale“ blieb in der Alltagssprache, obgleich es natürlich keinen Bi-
schof mehr gab.
8 D. Art, La chapelle et le mausolée du duc Henri de Rohan, in: Saint Pierre. Ancienne cathédrale de Genève, Genè-
ve 1892, S. 9–142, 105–107.
9 Ebenda, S. 106 mit Abbildung. Die heutige Statue ist eine bemerkenswerte Marmorskulptur von Charles Iguel
(1827–1897), Schüler von François Rude; siehe, Godoy, Le Monument (zit. Anm. 1), S 144–151; G. Extermann,
Iguel, Charles, in: Artistes à Genève: de 1400 à nos jours (hrsg. von K. Tissot), Genève 2010, S. 332–333.
10 L. Blondel, Le cimetière de Plainpalais, Genève 1957, S. 6.
Abb. 2: Grabmäler, erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Genf, Friedhof von Plainpalais.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken