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rechts: Dominique Chabrey (1610–1659), Ho-
race-Bénédicte De Saussure (1740–1799), die
schon porträtierten Charles Bonnet & Jean-Jac-
ques Rousseau, Abraham Trembley (1710–1784)
und Jean Sénebier (1749–1809).
Verschiedene Künstler arbeiteten an den
Büsten.33 Für de Saussure wählte man Luigi Zan-
domeneghi (1778–1850), einen Canova-Schüler,
der auch das Grab seines Meisters in Santa Ma-
ria dei Frari in Venedig schuf. Eine solche Wahl
war natürlich die direkte Folge der Popularität
Canovas in Genf. Trembley und Sénebier wur-
den zwei unbekannten Künstlern aus Carra-
ra anvertraut. Ausschlaggebend hierfür war die Fürsprache Pellegrino Rossis (1787–1848), Jura-
professor und erster katholischer Akademiker an
der Genfer Universität. Rossi stammte aus Car-
rara und wählte offensichtlich zwei Landsmän-
ner. Ein anderer Bildhauer aus Carrara, Pietro
Tenerani (1789–1869), meißelte später eine Büs-
te von Rossi, von welcher eine Kopie der Uni-
versitätsbibliothek geschenkt wurde.34 Es war ein
Auftrag von Rossis Freund, Auguste de la Rive
(1801–1873), Professor für Physik, Rektor und
Politiker, dessen Büste aus Marmor auch in der
Bibliothek steht. Anhand dieser Porträts lassen
sich Verflechtungen im sozialen, beruflichen und
familiären Bereich erkennen.
ein neuer bildhauer: james pradier
Für die Büsten von Rousseau und Bonnet wähl-
te man einen Genfer Künstler, James Pradier
(1790–1852).35 Pradier hatte eine beispielhaf-
te Karriere vorzuweisen: Er arbeitete zuerst un-
ter Jean Jacquet an der Genfer École de dessin,
dann in Paris unter François-Frédéric Lemot, wo
er 1813 den Prix de Rome gewann.36 Da Genf zu
dieser Zeit noch Teil von Frankreich war, konn-
te Pradier die Bourse de pensionnaire erhalten.
Zurück in Paris setzte sich sein Aufstieg mit ei-
ner Stelle an der École des Beaux-Arts und einem
Lehrstuhl am Institut de France fort.
Im Vergleich zu den Büsten von Rousseau und Bonnet in der akademischen Bibliothek er-
scheint Pradiers Version für die Orangerie hero-
ischer und schlichter zugleich (Abb. 8 und 10).37
Seine wenig originelle, einfache Sprache setz-
te sich durch und machte ihn zum Referenz-
porträtisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts. Als Candolle, der Begründer der Orangerie,
1841 starb, beauftragte man Pradier damit, auch
seine Büste anzufertigen.38 Diese wurde vor den
sechs Porträts der Orangerie aufgestellt, wie die
eines Professors vor seinen Kollegen (Abb. 1).
Candolles Porträt ist luxuriöser als die anderen,
es ist größer, in Bronze gegossen und steht auf
grégoire
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32 A. Corboz, La place Neuve, composition progressive, in: Le Musée Rath a 150 ans (hrsg. von M. Pianzola), Genè-
ve 1976, S. 9–36, 23–24; Natale, Le goût et les collections (zit. Anm. 1), S. 80.
33 A. P. de Candolle, Second rapport sur la fondation et l’état du Jardin Botanique de Genève, fait à l’assemblée gé-
nérale des Souscripteurs et Donataires de l’Etablissement, le 30 avril 1821, Genève 1821, S. 12–14. Ich danke Vincent
Chenal für den Hinweis zu dieser Publikation.
34 F. Gardy, Les bustes de Rossi et de Cavour conservés à la Bibliothèque de Genève, in: Genava, 8, 1930, S. 121–127.
35 Ursprünglich Jean-Jacques Pradier: Die Namensänderung ist Beispiel einer verbreiteten, konfessionell bedingten
Anglophilie.
36 C. Lapaire, James Pradier (1790–1852) et la sculpture française de la génération romantique, Milano 2010, mit Bib-
liografie.
37 Ebenda, S. 249–250, N. 16–17. Pradier wurde ziemlich stark durch Lorenzo Bartolini beeinflusst, cf. G. Exter-
mann, „Un talent digne de Périclès“. Lorenzo Bartolini e la Grecia, in: Lorenzo Bartolini, scultore del bello naturale
(Austellungskatalog Florenz, Galleria dell’Accademia, hrsg. von F. Falletti, S. Bietoletti, A. M. Caputo), Firenze
2011, S. 72–85, 76–78.
38 Lapaire, James Pradier (zit. Anm. 36), S. 318–319, N. 196.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken