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egalitärer epilog
Wie zu erwarten sind Frauen in diesem skulptu-
ralen Prozess leider völlig abwesend. Die einzige
weibliche Präsenz in der Bibliothek ist eine Büste
von Germaine de Staël, Kopie eines Werkes von
Friedrich Tieck (1776–1851).
Es gibt noch ein anderes großartiges Bei-
spiel, nicht aus dem akademischen Milieu, aber
im Rahmen des Parc des Bastions: Im neben der
Orangerie gelegenen Palais Eynard steht am Fu-
ße der Treppe die Statue der Frau von Jean-Ga-
briel Eynard, Anne Lullin, ein Werk von Loren-
zo Bartolini (Abb. 15).55 Es ist eine der schönsten
Statuen des 19. Jahrhunderts in der Schweiz, sti-
listisch nahe an Ingres’ kalligrafischer Form. In
Genf ist sie allerdings ein Einzelfall. In der Male-
rei wurden weibliche Porträts zwar toleriert, Büs-
ten sind dagegen eine Ausnahme und Statuen
sind undenkbar. Außer einem schlichten Kom-
mentar von Jean-Jacques Rigaud findet man kei-
ne Beschreibung dieses Werkes im 19. Jahrhun-
dert.56 Das Schweigen kann hier, wie so oft in
Genf, als eine moralische Verurteilung interpre-
tiert werden.
Das letzte Kapitel der Porträtgalerie wur-
de 2009 anlässlich des 450-jährigen Jubiläums
der Genfer Universität geschrieben. Bedeuten-
de Persönlichkeiten der akademischen und in-
tellektuellen Sphäre Genfs wurden an den Mau-
ern des Gebäudes der Uni-Dufour angebracht
(Abb. 16).57 In diesem Werk des Künstlers Roger
Pfund (* 1943), entstanden auf Initiative des Bu-
reau de l’égalité, sieht man anhand der bifronta-
len Wabenzellen an der modernistischen Fassade eine fruchtbare Genderkonfrontation (Abb. 17).
Da die Universität erst ab 1873 für Frauen geöff-
net war, gab es einige leere Flächen, repräsen-
tativ für verpasste Gelegenheiten.58 Im 19. Jahr-
hundert, als der radikale politische Flügel eine
Demokratisierung des Studiums anstrebte, war
diese Gleichheit gar keine Priorität. Sie ist ei-
ne Errungenschaft des 20. Jahrhunderts, wel-
che, selbst zu Beginn des 21. Jahrhunderts, noch
nicht abgeschlossen ist.
Abbildungsnachweis: Abb. 1, 5-6, 8–9, 11: Centre
d’iconographie genevoise; Abb. 2, 4, 7, 10, 12-15: Verfas-
ser; Abb. 3: nach Ripoll (zit. Anm. 6); Abb. 16, 17: nach
Mantilleri (zit. Anm. 57).
James Pradier und die Hommage an die genfer elite 285
55 Extermann, Attività di Lorenzo Bartolini (zit. Anm. 22); Idem, in: Lorenzo Bartolini, scultore del bello naturale
(zit. Anm. 37), S. 260–262, N. 36.
56 „A l’entrée du principal salon, on voit d’abord la statue en marbre de grandeur naturelle de Madame Eynard“, J. J.
Rigaud, Renseignements sur les beaux-arts à Genève, I, Genève 1848, S. 340.
57 Faces à faces 06/09: Université de Genève et atelier Roger Pfund (hrsg. von B. Mantilleri), Genève 2009.
58 B. Mantilleri/J. Labarthe, Ebenda, S. 21. Abb. 17: Roger Pfund, „Faces à faces“, Detail.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken