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kragender Plinthe. Unterhalb der Büste ist der
Karton gefaltet, sodass beim Umklappen die Be-
trachtung des Entwurfes ohne Sockelversionen
möglich ist. Offenbar hat Knaur das Blatt da-
zu verwendet, drei unterschiedliche Ansichten
der Büste zu präsentieren und die Auswahl des
passenden Postamentes vorzubereiten. Dass der
Senat sich für den breiteren Sockel entschieden
hat, den ein Tischler angefertigt hatte, legen die
historischen Aufnahmen der Aula nahe. Weni-
ge Monate später lieferte Knaur das Gipsmodell.
Die Darstellung der Leibnizfeier in der „Illustrir-
ten Zeitung“ erweist (Abb. 4),36 dass es sich zum
Zeitpunkt der Feierlichkeiten anstelle des mar-
mornen Leibnizkopfes im Saal befand. Knaur
wechselte die marmorne Kolossalbüste erst im
darauffolgenden Jahr aus, was er in einem Brief
vom 14. Juli 1847 selbst anzeigte.37
Die Büste zeigt im Gegensatz zum Entwurf
ein leicht zur linken Seite geneigtes Haupt, das
von der Stellfläche über den oberen Ansatz der
Schultern bis hin zur Haartracht aus einem
Block gearbeitet ist (Abb. 6). Der würfelähnli-
che, massiv wirkende Unterteil fungiert auf et-
wa quadratischem Grundriss als Stellfläche der
Büste. Die vordere, glatt geschliffene Partie
ziert in Kapitalis die Gravur des Philosophen-
namens: „LEIBNIZ.“ und schließt oberhalb na-
hezu halbrund ab. Im Gegensatz zum zeichne-
rischen Entwurf versah Knaur die Büste nicht
mit einer differenzierten Brustfläche. In ihrem
Grundaufbau scheint sie sich an antiken Vorla-
gen zu orientieren.38 Leibniz’ Blick wirkt wie auf
ein feststehendes Ziel in nächster Nähe gerich-
tet, die Gesichtszüge sind hart und gebieterisch,
was insbesondere durch die Denkerfalten an der
Stirn und die tiefen Winkel des milde lächelnden
Mundes bewirkt wird. Die Umrisse sind hart,
was das eckige Kinn betont. Insbesondere der
Haaransatz scheint durch das antike Modell be- einflusst, schließlich wird Leibniz durch eine ho-
he Stirn, ohne Allongeperücke und mit offenen
Haarsträhnen wiedergegeben. Offenbar hat Kn-
aur versucht, zwei Gegenstände miteinander zu
verschmelzen. Zum einen eine Ähnlichkeit mit
dem Antlitz des Gelehrten im Rückgriff auf des-
sen wohl bekanntestes Porträt mit Allongeperü-
cke (Abb. 7) und zum anderen eine idealisier-
te und antikisch anmutende Darstellungsweise,
die eine Wiedergabe im historischen Kostüm
UnbeqUemer Gelehrter, einGeheGtes Genie? 293
36 Illustrirte Zeitung (zit. Anm. 31), S. 43–44.
37 Quelle (zit. Anm. 31), Bl. 36–37.
38 Vgl. U. Merkel, Das plastische Porträt (zit. Anm. 9), S. 38 f.
Abb. 6: (Immanuel August) Hermann Knaur, Kolossalbüs-
te des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, 1847,
Marmor, weiß, Objektmaße: 58 x ca. 91 x 50,3 cm, signiert
und datiert auf der Rückseite links unten „H. KNAUR. fec.
1847.“, am Büstenanschnitt bezeichnet „LEIBNIZ.“, Leip-
zig, Kunstbesitz der Universität Leipzig.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken