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oder ähnliches vermeidet, um die Verehrung von
Leibniz’ geistiger Größe hervorzuheben.
Eher noch als einer Antikenrezeption des in
Italien geschulten Bildhauers trug Knaur einem
Geniekult Rechnung, der vor allem im Bezug
auf Johann Wolfgang Goethe bekannt ist.39 Ein
Goethebezug wird auch in der Aula des Augus-
teums evident, da die Leibnizbüste später von
einer Goethebüste flankiert wurde (s. unten).
Wohl kaum wirkte in Knaurs Werk jene Büs-
te nach, die David d’Anger ein Jahrzehnt zuvor von Goethe angefertigt hatte. Angers jedenfalls
charakterisierte den gealterten Goethe mit auf-
wehender Lockenpracht, tiefen Denkerfalten an
der Stirn und verhaltenem Blick, doch mit ko-
lossalen Büstenmaßen.40 Goethe hatte die von
Angers als Geschenk und persönliche Hommage
übersandte Büste öffentlich in der Großherzog-
lichen Bibliothek aufstellen lassen, wo Knaurs
Lehrer Ernst Rietschel sie 1841 studieren konn-
te.41 Rietschel hatte „angesichts deren übermäch-
tiger Wirkung gesagt: Sie habe ihn ‚mit Erstau-
nen erfüllt, man hat Mühe, den Eindruck wieder
los zu werden, daß er einem [!] nicht des Nachts
beunruhigt.‘“42 Angers überdimensioniertes Ge-
schenk war ein Kulminationspunkt des Goethe-
kultes. Knaurs Leibnizkopf dagegen verpflichtete
sich der klassizistischen Schadow’schen Bildhau-
erkunst.43 Eine autoritäre Wirkung entfaltete
die Leibnizbüste somit gleichwohl. Die Leipzi-
ger „Illustrirte Zeitung“ beschrieb sie als wah-
ren Jupiterkopf […] einen Geist verkörpernd, der
eine Welt von Ideen in sich trägt und zu beherr-
schen weiß.44
Der Rektor der Universität vermerkte über
die Aufstellung der Leibnizbüste 1847, dass: „die
Aufstellung der Büsten solcher Männer wie Leib-
niz, namentlich in der Aula der Universität, auch
von wohltätigem Einfluß auf Geist und Rich-
tung der Studierenden sei[en], indem sie den-
selben bei jeder akademischen Feier von Neuem
vor die Seele führt, daß die ernste Wissenschaft
in ihrer klaren ruhigen Macht alle trüben oder
leidenschaftlichen Bestrebungen des Tages über-
silvia
schmitt-maass294
39 E. Forssman, Goethezeit. Über die Entstehung des bürgerlichen Kunstverständnisses, Berlin 1999, S. 128 ff.
40 Die Büste wurde am 28. August 1831 in der Großherzoglichen Bibliothek zu Weimar feierlich eingeweiht. Die Fest-
gesänge hierzu erschienen gedruckt: vgl. B. Maaz, Vom Kult des Genies. David d’Angers’ Bildnisse von Goethe bis
Caspar David Friedrich, München/Berlin 2004, S. 40.
41 Ebenda, S. 39.
42 Ebenda, S. 44. Vgl. Briefwechsel zwischen Rauch und Rietschel (hrsg. von K. Eggers), 2 Bde., Berlin 1890–1891,
Bd. 2, S. 9.
43 Merkel, Das plastische Porträt (zit. Anm. 9), S. 66 ff. Zur Gelehrtenmemoria in der Anna Amalia Bibliothek vgl.
B. Werche, Kräuters Skizze des Rokokosaales der Großherzoglichen Bibliothek, in: Anna Amalia, Carl August und
das Ereignis Weimar (hrsg. von H. Th. Seemann), Göttingen 2007 (Klassik Stiftung Weimar, Jahrbuch 2007), S.
244–271.
44 Illustrirte Zeitung (zit. Anm. 31), S. 44.
Abb. 7: Christoph Bernhard Francke, Bildnis des Philoso-
phen Gottfried Wilhelm von Leibniz, vor 1716, Öl auf Lein-
wand, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken