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ragt und überdauert.“45 Diese Worte legten die
Einhegung der Leibnizbüste in den universitä-
ren Rahmen als steinerne Autorität im Sinne ih-
rer pädagogischen Wirksamkeit fest. Die Leib-
nizbüste zielt auf die Bekehrung von Studenten
zu Bedachtsamkeit ab und sollte in den zu je-
ner Zeit immer wieder aufflammenden Studen-
tenunruhen der Vormärz-Aufstände als Vorbild
funktionieren.
Interessant ist an der Illustration, dass die
monumentale Büste dem Rednerpult gegen-
übergestellt abgebildet wird (Abb. 4), während
das Denkmal von König Friedrich August I. von
Sachsen zergliedert und an den Rand gedrängt er-
scheint. Möglicherweise ist das königliche Bildnis
für die Aufstellung der Leibnizbüste in der Au-
la neu platziert worden. Das Königsdenkmal ist
schließlich ebenfalls in Gegenüberstellung zum
Pult denkbar. Gegen die These mag die übergro-
ße Ausformung der Personifikationen sprechen,
die für eine Aufstellung an der Wand konzipiert
zu sein scheinen; doch für sie sprechen die ko-
lossalen Dimensionen des Leibnizkopfes auf ho-
hem Sockel, der ein räumliches Gegengewicht
zur herrschaftlichen Gewalt und ein beinahe ma-
jestätisches Gegenüber zur akademischen Partei
formiert. Zudem wendet sich der Kopf in Rich-
tung des königlichen Denkmals und nicht wie im
zeichnerischen Entwurf vorgesehen streng frontal
in Richtung des Rednerpultes. Wird der Leibniz-
kopf nicht auch zu einem herausragenden Anwe-
senden im Publikum? Die im Vordergrund der
Illustration wiedergegebene Herrschertugend der
„Milde“ mag als Kommentatorin dieser Kons-
tellation gedeutet werden, denn der Aufstellung
von Leibniz’ Büste hatte der sächsische König zu- gestimmt. Hier nun konnte Leibniz als bürgerli-
cher Vertreter der Wissenschaften und Begründer
des Akademiewesens im deutschsprachigen Raum
zugleich als etwas trotzig wirkender Vertreter der
Freiheit der Wissenschaften dem königlich-uni-
versitären Rahmen trutzen. Nicht unerheblich
erscheint die Tatsache, dass die Feierlichkeiten
zu Leibniz’ Geburtstag mit der offiziellen Grün-
dung der Sächsischen Akademie der Wissenschaf-
ten zusammenfielen. Wie ein Jahrhundert zuvor
bereits Gottsched einer Akademiegründung mit-
tels wissenschaftlicher Gesellschaften zugearbei-
tet hatte, berief sich auch die Akademie der Wis-
senschaften auf den Gelehrten.46 Angesichts von
Gottscheds Denkmalsplänen überrascht es kaum,
dass Leibniz nicht ensemblehaft erinnert wurde.
Vielmehr wurde ein solitäres Denkmal im Raum
errichtet, das durch die Gegenüberstellung seine
Bezüge zu königlichen Würden und Universitäts-
geschichte entfaltet.
Kaum überraschen mag auch, dass die Uni-
versität zusätzlich zu diesem Vorgehen zu einem
im städtischen Raum positionierten Denkmal
riet. Schließlich enthalten die Akten zu den Ju-
biläumsfeierlichkeiten schon 1846 den „Aufruf
zu freiwilligen Beiträgen zur Errichtung eines
Denkmals für Leibniz in Leipzig“47 an den Stadt-
rat. Knaur fertigte offenbar ein weiteres Gips-
modell für ein Leibniz-Standbild, das heute im
Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig erhalten
ist.48 Gegen ein kostenintensives, städtisches Mo-
nument regt sich allerdings in der Leipziger Bür-
gerschaft zeitgleich Widerstand,49 was die verspä-
tete Verwirklichung erklärt. Erst 1877 sollte der
Bildhauer Ernst Julius Hähnel (1811–1891) den
Zuschlag erhalten.50 Zwischen 1881 und 1883 fer-
UnbeqUemer Gelehrter, einGeheGtes Genie? 295
45 Zit. nach Janda-Bux, Die Entstehung der Bildnissammlung (zit. Anm. 15), S. 156–157, Quelle (zit. Anm. 31), Bl. 3.
46 E. L. Wiemers/G. Wiemers, Planung und Entstehung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.
1704–1846, Göttingen 1996, S. 159–164. Vgl. Illustrirte Zeitung (zit. Anm. 31), S. 43.
47 Quelle (zit. Anm. 31), Bl. 16.
48 Datiert um 1846, lt. Inventar des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.
49 Etwa in den Ausgaben des Leipziger Tageblattes zum Thema „Leibnizdenkmal“ im Jahr 1846.
50 Univ.-Arch. Leipzig, III/V, Nr. 68b (Acta, Errichtung des Leibniz Denkmals betr., 1877), Blatt 6–7 mit einem „Tri-
plicat“ des Vertrages mit Hähnel.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken