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Die beiden älteren Gießener Epitaphien wer-
den der Bildhauerfamilie Franck, dasjenige Ha-
berkorns dem Künstler Matthias Wenzel zu-
geschrieben.16 Die Brüder Adam und Philipp
Franck waren zeitgleich auch im Dienste der hes-
sischen Landgrafen in Marburg tätig und schu-
fen dort unter anderem das Grabdenkmal für
den Gründer der Gießener Universität, Land-
graf Ludwig V., und seine Gemahlin Magdale-
na von Brandenburg (Marienkirche 1626–31).17
Das Kenotaph des in der Stadtkirche in Darm- stadt bestatteten Ludwig entstand im Auftrag des
Sohnes, Georgs II. von Hessen-Darmstadt, und
erscheint als ein weiteres kunstpolitisches Be-
kenntnis dieses Landgrafen zur Einheit Hessens
und der Verankerung einer lutherischen „Samt-
universität“ in Marburg. Es sollte explizit als eine
Kopie des im Chor der Marienkirche unmittel-
bar benachbarten Epitaphs für Landgraf Lud-
wig IV. von Hessen-Marburg und seine Ge-
mahlin Hedwig (err. 1590–92) erscheinen und
auch dessen theologisch-lutherisches Programm
replizieren.
Die drei Rektoren-Monumente in der Gie-
ßener Friedhofskapelle entspringen der regiona-
len Kunstproduktion, und sie schließen typo-
logisch – hinsichtlich des Ganzkörperporträts
– sowie werkstatttechnisch – bezogen auf die
vermutlich verantwortlichen Künstler – an Bild-
nisse und Grabdenkmäler vor allem derjenigen
hessischen Landgrafen an, die sich explizit zum
reinen lutherischen Glauben bekannten und po-
litisch dafür eintraten. Ein diesbezüglich emi-
nent wichtiger Fürst war Ludwig V., der Grün-
der der Gießener Universität, dessen Marburger
Kenotaph die dynastische Verbundenheit mit
Ludwig IV. zum Ausdruck bringt, wie auch die
Gießener Theologen-Epitaphien durch ihre im
Laufe des 17. Jahrhunderts gleichbleibende Ge-
staltung die Kontinuität des Rektoren- und Su-
perintendentenamtes an ihrem treu der reinen
lutherischen Lehre verpflichteten Wirkungs-
ort Gießen anschaulich machen. Im künstleri-
schen, formal-ästhetischen und raumgreifenden
Anspruch bleiben sie hinter den Grabdenkmä-
lern der Landgrafen deutlich zurück, doch offen-
bart sich hier ein Selbstverständnis der Gelehr-
GelehrtenGedenken in der Universitätsstadt Giessen 311
16 Vgl. Denkmaltopographie (zit. Anm. 13), S. 383; H. Lorenz, Die Landgrafengräber und der Hochaltar in der luthe-
rischen Pfarrkirche zu Marburg, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1, 1924, S. 99–194, hier S. 176–177;
E. Broschek, Matthias Wenzel. Ein Beitrag zur mittelhessischen Bildhauerkunst im 17. Jahrhundert, in: Mitteilun-
gen des Oberhessischen Geschichtsvereins 81, 1996, S. 227–260, hier v. a. S. 240–241. Zu den Künstlern vgl. H. Th.
Gräf, Franck, Adam und Franck, Philipp, in: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 43, München 2004, S. 440 und 457.
– Eine präzise kunsthistorische Einordnung der Gießener Epitaphien steht noch aus.
17 Vgl. M. Lemberg, god erbarme dich uber mich / bruder des begere ouch ich. Die Grablegen des hessischen Fürsten-
hauses, Marburg 2010, S. 122–133; Lorenz, Landgrafengräber (zit. Anm. 16).
Abb. 10: anonym, Epitaph für Justus Feuerborn (1587–1656),
1650er-Jahre, Sandstein, farbig gefasst/Matthias Wenzel, Epi-
taph für Peter Haberkorn (1604–1676), 1670er-Jahre, Sand-
stein, farbig gefasst [Bildplatte 162 x 83,5 cm, vgl. Graep-
ler 1977, S. 48], 1650er/1670er-Jahre, Gießen, Alter Friedhof,
Kapelle.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken