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nach 1881 von dem in Berlin ausgebildeten un-
garischen Architekten Alajos Hauszmann konzi-
piert wurde. Die Tondo-Bildnisse von sechs be-
rühmten ungarischen Ärzten (Abb. 8) wurden
zwischen den Fensterbogenfeldern an der Fas-
sade im Neorenaissancestil angebracht.17 In der
Auswahl und beim Anbringungsort des Motivs
zeigt sich die Inspiration des Renaissancevorbil-
des, des Ospedale degli Innocenti in Florenz, be-
sonders deutlich. In beiden Fällen sind die zwi-
schen den Rundbögen angebrachten Tondos die
Visualisierungen der Funktion des Gebäudes.
Dies war die erste Porträtreihe, die in aller Öf-
fentlichkeit die Memoria ausschließlich ungari-
scher Gelehrter heraufbeschwor. Sie stellt Ärzte
dar, und das ist kein Zufall. In der zweiten Hälf-
te des 19. Jahrhunderts erfasste nämlich ein ein-
zigartiger Fortschritt die Heilkunde. Die neuen
Kenntnisse und Verfahren wurden „ad homi-
nem“ überliefert und angewandt, und für die großen, humanistisch gut gebildeten Arztper-
sönlichkeiten, die dabei die Hauptrollen spiel-
ten, hegte die nachfolgende Ärztegeneration ei-
ne so große Achtung, dass sie ihr Andenken auch
durch Kunstwerke und ihre Porträts verewigen
wollte. Diese Attitüde der Heilwissenschaft bil-
dete sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts
heraus und wurde von den nachfolgenden Gene-
rationen bis heute fortgeführt.
Ganzfigürliche Gelehrtenstatuen als Bauplas-
tik erschienen nur selten in Ungarn. An der Fas-
sade der Poliklinik der Budapester Baross
straße
(1901) stehen zum Beispiel die Nischenskulp-
turen von vier ungarischen Ärzten und Profes-
soren, darunter die von Ignaz Philipp Semmel-
weis und János Balassa.18 Die Dar
stellung eines
gelehrten Arztes als selbstständiges Denkmal er-
schien in Ungarn erstmals Anfang des 20. Jahr-
hunderts mit dem Denkmal für Ignaz Semmel-
weis (Abb. 9).19 Seine Statue im öffentlichen
Auf der Suche nAch räumen und formen der memoriA 343
17 A. Déry, Budapest eklektikus épületszobrászata, Budapest 1991, S. 76, S. 80–81.
18 Ebd., S. 71, S. 86.
19 E. Liber, Budapest szobrai és emléktáblái, Budapest 1934, S. 263–265. – Zur deutschsprachigen Biografie des Künst-
lers: http://kulturportal-west-ost.eu/biographien/strobl-alois-2, abgerufen am 23. Jänner 2017.
Abb. 8: Hauptfassade des St.-Stephan-Krankenhauses/Medizinerporträts von Tonwarenfabrik
Marchenke, um 1885.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken