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Kuppel in der Fassadenmitte. Neben der auf-
wendigen künstlerischen Ausschmückung sowie
der fortschrittlichen elektrischen Ausstattung
(aus den Jahren 1890/1891!) ist die Tatsache auf-
fallend, dass einzig dieser Raum „des National-
Heiligtums“ bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts in der Zuständigkeit des Staates blieb:
zuerst in der des Landesausschusses, dann des
Bildungs- respektive Kulturministeriums.
Die ursprüngliche Interieurplanung des Ar-
chitekten Schulz umfasste im Pantheon die Auf-
stellung von vier freistehenden Statuen sowie die
Anbringung von 16 Büsten auf den Sockeln und
16 weiteren Büsten auf den Wandkonsolen. Im
Dekorationskonzept des Gebäudes aus dem Jahr
1893 betonte man die Differenzierung der iko-
nografischen Programme von Stiegen
halle (Ge-
schichte der Nation) und Pantheon, für das man
das Lob der tschechischen Kultur, Bildung und Wissenschaft vorgesehen hatte. Nachfolgende
langwierige Diskussionen bezüglich der Auswahl
der Persönlichkeiten wurden – trotz zahlreicher
Fachkomitee-Expertisen – kompliziert und erheb-
lich politisch beeinflusst. Eine Reihe von deutlich
protschechisch auftretenden Lite
raten, die heute
als die prominenten Schöpfer der tschechischen
Literatur des 19. Jahrhunderts gelten (Mácha, Tyl,
Němcová, Borovský, Neruda u.a.), wurde a pri-
ori bei der Auswahl ausgeschlossen. Letztendlich
vergab man in den Jahren 1898 bis 1901 den Auf-
trag der insgesamt 34 Büsten an die im Voraus
ausgewählten Bildhauer Emanuel Halman, An-
tonín Popp, František Rous, Bohuslav Schnirch,
František Stránský, Stanislav Sucharda, Ladis-
lav Šaloun, Bohumil Vlček und Čeněk Vosmík.
In der Mitte der Seitenwände befanden sich zwei
Heißluftkamine mit den Marmorbildnissen des
Kaiserpaares (beide Anton Wagner, Wien, 1891).
Von den vier freistehenden Haupt
figuren des Pan-
theons wurden als Erstes die Statue des František
Palacký (Abb. 3) und die des Johann Amos Ko-
menius (beide Antonín Popp, 1897) aufgestellt.
Etwas später fügte man die zwei übrigen Gestalten
hinzu: die des Grafen Heinrich von Clam-Mar-
tinic, Präsident der Museumsgesellschaft (Milan
Havlíček, 1898–1900), und die des Museums-
gründers, Graf Kaspar Maria von Sternberg (Josef
Kvasnička, 1900). Als einer der Schlüsselorte des
tschechischen Nationalgedächtnisses veränder-
te sich das Pantheon mehrmals während der fol-
genden Jahre und Jahrzehnte. Die Veränderungen
des politischen Regimes sowie der gesellschaftli-
chen Verhältnisse spiegelten sich auch in der Be-
setzung dieser „tschechischen Walhalla“ wider, die
man nach den jeweiligen Bedürfnissen entweder
ergänzte oder reduzierte.5 Dennoch, „der Vater
der Nation“ – wie man František Palacký schon
seit dem 19. Jahrhundert titulierte6 – überlebte al-
le Turbulenzen und verblieb bis heute stehend im
Pantheon-Saal.
Abb. 3: Statue des František Palacký im Pantheon, Antonín
Popp, 1897. František Palacký im Prager Pantheon und auF dem Platz 369
5 So z. B. entfernte man 1918 die beiden kaiserlichen Büsten. Sršeň (zit. Anm. 2), S. 20.
6 So z. B. Ottův slovník naučný, Band 19, Praha 1902, S. 39.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken