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beharrte dennoch auf der ursprünglichen Lo-
kalität am (zukünftigen) Palacký-Platz, obwohl
klar war, dass dort nie eine geschlossene Platz-
anlage entstehen würde. Völlig fatal wirkte näm-
lich die Veränderung des originalen Regulierungs-
plans (Abb. 7), nach dem man auf der Ostseite
ursprünglich mit zwei diagonal führenden Stra-
ßen rechnete. Die endgültige Situation zeigt das
Denkmal in einer kommunikationsmäßig tauben
Ecke der Platzrampe (Abb. 4), was die Wirkung
des Werkes maximal beeinträchtigt. Die sehr be-
merkenswerte hintere Partie (inklusive der monu-
mentalen Allegorie der Weissagerin oder der Ge-
schichte) kommt daher gar nicht zur Geltung. Das
Denkmal wurde realisiert und 1912 enthüllt an ei-
nem Ort (de facto noch längere Zeit eine Baustel-
le), den man als „eine Kreuzung“ oder sogar als
„die Müllkippe“ bezeichnete.
Der instabile Untergrund des Moldauufers
forderte eine sehr anspruchsvolle Konstrukti-
on; eine tschechische Premiere war die Verwen-
dung eines massiven Stahlbetonrosts: mehr als
vier Meter tief, auf der Grundlage von 111 Beton-
pfählen, die bis zu 8,5 Meter tief eingeschlagen
wurden. Für den Sockel brauchte man 55 Wag-
gons Granit und eine riesige Menge an Beton-
füllung. Aus Stahlbeton war auch die Armatur
der oberen asymmetrischen Figurengruppen, die
sich ursprünglich gegenseitig ins Gleichgewicht
brachten. Die finalen Bronzegüsse wurden in
der Gießerei von Tomáš Bohdan Srpek in Bran-
dýs nad Labem (Brandeis an der Elbe) gefertigt.
Srpek gewann den Auftrag dank dem niedrigs-
ten Dumpingpreis, den er letztendlich nicht ein-
halten konnte.21 Gründlichst überprüfte man zu-
vor, ob Srpek wirklich ein Tscheche war, wie es
die Auftragsbedingungen strikt verlangten. Der
Hauptsitz seiner Gießerei befand sich nämlich in
Wien-Hietzing. Die Firma Srpeks genoss damals
ein erhebliches internationales Renommee und
realisierte Denkmäler in Wien, Lemberg, Kra- kau, Berlin und sogar Persien (General Khans
Monument in Teheran). Eine komplizierte Weise
der Verankerung der Bronze erprobte Srpeks Fir-
ma schon bei der Realisierung des Mickiewicz-
Monuments von Antoni Popiel in Lemberg
(1898–1904). Statt einer Standard-Bronzelegie-
rung (93 % Kupfer à 7 % Zinn) nützte Srpek ei-
ne eigene, geheime Mischung: 88 % Kupfer, 3 %
Nickel, 2 % Zinn und 7 % Zink. In einer beson-
ders unangenehmen Situation befand sich der
Fabrikbesitzer im Juli 1910, als unerwartet der
Erzherzog (später Kaiser) Karl seine Brandeiser
Gießerei besichtigte.22 Der Erzherzog befragte
mehrmals den beinahe verstummten Srpek über
die Bedeutung der gerade finalisierten Denk-
malteile der Unterdrückung und der Germanisa-
tion (Abb. 9) – also des oben erwähnten zwei-
köpfigen Untieres mit den Eichenlaubflügeln
und der „habsburgischen“ Physiognomie.
Obwohl das Palacký-Denkmal schon im
Frühjahr 1911 fertig war, wurde politisch be-
schlossen, es erst im Juni 1912 im Rahmen der
slawischen Sokol-Feier offiziell zu enthüllen.
Länger als ein Jahr wurde also das fertige Werk
hinter einem sechs Meter hohen Holzzaun ver-
steckt. Die feierliche Enthüllung wurde als ein
Nationalfest von mehreren Politikern ausgenützt
(u.a. Prager Bürgermeister Karel Groš und dem
Abgeordneten Karel Kramář). Die Tschechische
Akademie der Wissenschaften und die Prager
Universität organisierten gemeinsam am 29. Juni
1912 eine Jubiläumstagung und im Nationalthea-
ter wurde die „tschechische Nationaloper“ – also
Smetanas Libuše – aufgeführt. Nach der Enthül-
lungszeremonie fand ein opulentes Festessen im
Prager Gemeindehaus statt. Die Gesamtsumme
des Denkmals – zur Zeit seiner Entstehung das
größte Bronzedenkmal Europas – war kolossal:
525.000 Kronen.
Das Monumentalwerk, das während der
langen Zeit von 14 Jahren (1898–1911) – in der
František Palacký im Prager Pantheon und auF dem Platz 379
21 Bohdan Srpek realisierte auch das Prager Jan-Hus-Denkmal.
22 In Brandeis besaßen die Habsburger ein Schloss. M. Krummholz, in: Kuthanová/Svatošová (zit. Anm. 7), S. 85.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Titel
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Herausgeber
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Abmessungen
- 18.5 x 26.0 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Kategorien
- Geschichte Chroniken