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38 DieurbaneErfahrunginWien,BudapestundNewYork
Reisenden in „this Paris of EasternEurope“.8DieBevölkerungWiens aber
sehnte sich nach den „guten altenZeiten“.Die Sehnsucht nach ‚Alt-Wien‘,
demnostalgisiertenFlairdervergangenenJahrzehnte,wuchsundsollte inden
1920er Jahrenan ihrenHöhepunktgelangen.9DieräumlicheVeränderungder
Stadtführteschließlichdazu,dass ‚Alt-Wien‘vomrealgewordenen‚Neu-Wien‘
überlagertwurde.WasNostalgieundWehmutevozierte, eröffneteaberauch
neueNutzungsmöglichkeiten:Straßeneckenboten inden letztenJahrzehnten
des19. JahrhundertsplötzlichmehrRaum–nichtzuletztauchfürKunstund
Kultur.10
Wienum1900war gewissermaßen zwischenund in zwei verschiedenen
WahrnehmungenvonZeitgefangen.ZudemwardasWienderJahrhundert-
wendevonverschiedenenWahrnehmungendes ‚Eigenen‘unddes ‚Fremden‘
geprägt. InderResidenzstadtderMonarchie lebtenMenschenmiteinerViel-
zahlunterschiedlicherSprachenalltäglicherKommunikationundmindestens
17verschiedenenReligionsbekenntnissen.11Wienwarplurikulturell.12Zuwan-
dernde aus allenGebieten derMonarchie bedingten ein enormesBevölke-
rungswachstum:Zwischen1890und1930verdreifachtesichdieBevölkerung
beinahe.Während1880etwa730.000MenscheninWien lebten,war1890die
Millionengrenzeüberschrittenund1900 lebtenbereits 1,6Millionen inder
Residenzstadt.ZehnJahre später, 1910,hatte sichdieZahlnochmalumein
Viertelvergrößert.Nunlebten2MillionenMenschen,darunterrund175.000
JüdinnenundJuden, inderMetropole.13
DieStraßen jenerStadt,diemitZweig„gastfrei allesFremdeaufnahmen“,
wareneinwichtigerBereichdesalltäglichenLebens,aufdendieTagespolitik
wiederholtBezugnahm.Obaufdie jüdischenMigrant*innenausOsteuropa
oder dieMarktszenen rekurriertwurde:Alles spielte sich vor denKulissen
desvermeintlichneuenWienab; einWien,dass immer stärkervonVielfalt
8 TJM,10.3.1888,1.
9 Verschiedenste Publikationen bedauern denVerfall derMetropole, zumBeispiel Ludwig
Hirschfeld,WosinddieZeiten ...:ZehnJahreWieninSkizzen(Wien:Anstalt, 1921).
10 DieAusstellung „Alt-Wien“ desWienMuseum imKünstlerhaus argumentierte, dass die
räumlicheNeugestaltungwesentlichzurMythisierungAlt-Wiensbetrug.SieheKos,Rapp,
Alt-Wien.
11 John,VielfaltundHeterogenität,38:DieReligionsstatistikum1900wies17Kategorienauf,
jedochsubsumierte siedieunterden16explizit ausgewiesenenReligionsbekenntnissennicht
vorkommendenGlaubensrichtungenunter„andereKonfession“,weshalbeineexakteZahlan
Religionsbekenntnissennichtgenaueruiertwerdenkönne.
12 Csáky,HybrideKommunikationsräumeundMehrfachidentitäten,65–97.
13 IvarOxaal,Die Juden imWiendes jungenHitler:HistorischeundsoziologischeAspekte,
in:GerhardBotz,ders.,MichaelPollak,NinaScholz(Hg.),EinezerstörteKultur: Jüdisches
LebenundAntisemitismus inWienseitdem19. Jahrhundert (Wien:Czernin,2002)46–64,
52.AllgemeinsieheRozenblit, JewsofVienna.
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Titel
- Auf die Tour!
- Untertitel
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Autor
- Susanne Korbel
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 272
- Kategorie
- Kunst und Kultur