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96 Amüsement indenMetropolen
manunterhaltenwurde:EinVergnügen, zudemdieBewohner*innenNew
YorksüblicherweisedieganzeFamiliemitbrachten.191DieSingspielhallenund
VarietésgewannenzunehmendanBeliebtheit,wasallerdingsbedeutete,dass
dasPublikumindengroßenTheaternausblieb.AusdiesemwachenInteresse
anneuenFormenresultierte, lautdenKritikern,derUntergangdes jiddischen
TheatersunddergroßenjiddischenDramaturgie.DieSchulddaranunddie
darausresultierendevermeintlichekulturelleDegenerationdesTheatershätten
dieMigrant*innengetragen.192WasinBudapestalsovondenNationalist*in-
nenangestrebtwordenwar,nämlichdieZerstörungderPlurikulturalität,war
auch inNewYork immodernenCharakterpopulärerKultur als zerstörend
wahrgenommenworden.
DieseInterpretationbasiertzumeinenaufeinerdichotomenVorstellungdar-
über,was„populäre“undwas„hohe“Dramatiksei.Die Interpretationbasiert
aber vor allemauch auf dem indirekt fortgeführten Schluss, dass sich zwi-
schendenpopulärenVaudevillesundderDramaturgiewedereinegemeinsame
EntwicklungzuneuenFormenüberlappte,nochdassdieseEntwicklungein
gesamtgesellschaftlichesPhänomengewesenwar.Dashängtbiszueinemgewis-
senTeilmitderVerortungderPopulärkulturanderLowerEastSidezusammen.
Esberuht jedochauchaufeinemNarrativ,demzufolgenurJüdinnenundJu-
dendaspotentiellePublikumfürdieAufführungengewesenseien:Nebenden
PopularCultureandPerformance in theVictorianCity (Cambridge,NewYork:Cambridge
UniversityPress,2003),155–166.
191 Thissen,ShouldaMarriedWomanvisit aYiddishMusicHall?
192 Diese InterpretationnimmtihrenAusganginderzeitgenössischenDebatteumdie„Massen-
kultur“,wie sie inNewYorkvondensozialistischen jiddischenZeitungengeführtwurde.
BernardGorin, der die ersteGeschichte desMigrantentheaters inNewYork in Jiddisch
vorlegte,vertratebensodieThese,dassdieSingspielhallenSchuldamUntergangundander
ausgebliebenenWeiterentwicklungdes jiddischenDramasgehabthaben.GorinBernhard,
Digeshikhte funyidshenteater: zwei tausendyahr2(NewYork:LiterarischerFerlag,1918),
178–180. JudithThissenweistdaraufhin,dassdieGeschichtederSpielstättender jüdischen
Migrant*innenbislangnurhinsichtlichderenBedeutungfürdieEntwicklungdesDramas
untersuchtwordensind.ThissenuntersuchtdieökonomischeAusgangssituationundihren
ZusammenhangmitdentheatralenEntwicklungenanderBoweryundlegteeineDiskussion
derRahmenbedingungenvor.Darinvertritt siedieThese,dassallgemeinereökonomische
Entwicklungen fürdenUntergangdes jiddischenTheatersverantwortlichgewesenseien.
DiesonstüberausrezenteStudiehältaber implizitunhinterfragtanderAnnahmefest,dass
nurdie Immigrant*innendasökonomischePotentialder jiddischenTheaterwaren.Thissen
argumentiert,dassdieProduktionenaufeinem„ethnic limitedmarket“Abnehmer*innen
findenmussten,wasdieErklärungderökonomischenUmständebeschließt. JudithThissen,
„Reconsidering theDeclineof theNewYorkYiddishTheatre in theEarly1900s“,Theatre
Survey44,no.2 (2003):173–197,182.FürdieBeschreibungderEntwicklungeninderPopu-
lärkultur istaber, somöchte ichkonstatieren,geradedasArgumentderAbgeschlossenheit
undeinerethnischenExklusivitätzuhinterfragen.
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Titel
- Auf die Tour!
- Untertitel
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Autor
- Susanne Korbel
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 272
- Kategorie
- Kunst und Kultur