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MännlicheDamen,weiblicheMänner 169
gleichenMomentalsFrauzuerkennen.Damitverliert siezwar ihre„Tarnung“,
gleichzeitig tut sichabermit ItkesOuting innerhalbeinerheteronormativen
Denkweise202dieBeziehungzudemmännlichenPartner imEnsemble, fürden
siedieganzeReiseübergeschwärmthat, alseinerealeOptionauf.
Damit inszenierteMollyPicongemeinsammitGreensämtliche, inderSzene
populärerKultur inden letzten Jahrzehnten relevant gewordenenDebatten
undinkludiert subversivePotentiale.DiesesfilmischeDokumentder1930er
Jahre lässterahnen,wasdie jüdischenundnichtjüdischenKünstler*innenin
derPraxisdesfluidenGeschlechterwechsels zuentwerfenundvorzuführen
vermochten.DerHistorikerSanderL.GilmanzeigtamBeispielderEntwicklung
derSalome(ursprünglich inJohannStrauß‘Oper) fürdie Inszenierungvon
Jüdinnen auf der Bühne, dass derartigenRollen das Potential innewohnte,
sämtlicheStereotypeundgesellschaftspolitischenWirkmächtezubündeln.203
Vondennochals„bodenständig“beschriebenen„SeidlerMalis“204 amBe-
ginnder1880erJahrenhattensichdieVolkssängerinnenwährenddesfolgenden
Jahrzehnts zuSoubretten entwickelt, die immergrößerenGestaltungsraum
hinsichtlichder Interpretation ihrerRollenerhieltenundsoalsbaldmitSelbst-
bewusstseinsowohlweiblichealsauchmännlicheCharakteredemPublikum
vorführenkonnten.Soverliehensie in ihrenStückenundLiedernsoziopoli-
tischenThemengroßeBrisanz.GeradedieserHandlungsspielraumundder
selbstbewussteUmgang sowiedie Subversion,mitderdie Soubretten ihren
Handlungsspielraumnutzten,brachteallerdingsauchnegativeKonsequenzen.
Indiesem, inhaltlichmoderneAushandlungenzulassendenUmfeldsahensich
dieKünstler*innenalsbaldmitVorwürfenkonfrontiert. Ihnenwurdeunter-
stellt,nichtnuraufderBühnezuunterhalten,sonderndasmännlichePublikum
vorallemmittelssexuellerGefälligkeit fürsichzugewinnen.DieserVorwurf,so
dieArgumentation,hängedamitzusammen,dassdieerstenVolkssängerinnen
vorderkünstlerischenTätigkeit alsProstituierte tätiggewesenseien.Ande-
re,die„Diven“,wiesie JosefKoller in„DasWienerVolkssängertum“nannte,
sorgtenfürGesprächedurch„scharfgewürzteLieder“und„schlüpfrigeZoten“,
„verschämteBlicke“und„züchtigeLieder“,wiedasTanzendesCancan,wobei
„StrumpfbänderundDessous schimmerten“.Dieshabe, soKoller,natürlich
202 MichaelWarner, Introduction, in:ders. (Hg.),FearofaQueerPlanet:QueerPolitics and
SocialTheory(Minneapolis:UniversityofMinnesotaPress,1993),vi–xxxi,x.
203 SanderL.Gilman,„Salome,Syphilis,SarahBernhardtandthe‚ModernJewess‘“,TheGerman
Quarterly66,no.2(1993):195–211,195–201.
204 SieheKoller,DasWienerVolkssängertuminalterundneuerZeit,32–33.
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Titel
- Auf die Tour!
- Untertitel
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Autor
- Susanne Korbel
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 272
- Kategorie
- Kunst und Kultur