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VorbehaltegegenüberderpopulärenKultur 171
nichtausfreiemWunschedemBerufnachgegangen,sondernauseinemZwang.
Dennviele jungeFrauenwurdengeradezugenötigt, eineBühnenkarriereein-
zuschlagen.DieZeitungenspieltenauchhiereineMittlerrolleundwolltenzur
AufklärungvonMissständenbeitragen,umVorwürfeeinzudämmen.Am24.
Februar 1892 titelte etwadie InternationaleArtistenRevue „Niedermit der
Konsum-Sklaverei“:
Es ist eineofterhärteteThatsache,dass junge,wohlmitunteretwas leichtfertige, aber in
Armuth undNoth erzogene blutjungeMädchen, durch eitleVerblendung gewissenlo-
senSchacherhändenüberantwortetwerden,dassmanihnendenBerufalsSängerinen[!]
aufoktroirt,ohnedass siedenselben insich fühlen, sie indieWelt,oft in ferne,halbcivi-
lisirteLänderhinausspedirt,wovonsie sichSchätzevonGoldundEdelsteinenerhoffen
undgar oftnur erringen sie –Thränender bitterenEnttäuschungoder –die lachende
Schande![!]210
DerBerichtbetonteinerseitswiederumdieWichtigkeitvonkünstlerischerRei-
feundFreiheit–das„Fühlen“derProfessionunddeskünstlerischenGeistes.
Nurdas lasse letztlich zu, vordemPublikumerfolgreichundselbstbewusst
zu erscheinen. Junge, untalentierteMädchenwürdendeshalbniewirkliche
Soubretten.DieZuschauer*innenäußertendann schlechtenKünstlerinnen
gegenübersofortgnadenlosKritik.DasPublikumverlacheundverspottedie
Auftretenden–insbesondere jungeFrauen–,diesienichtzurvollenZufrie-
denheitunterhielten.211
Sängerinnen,diedasPublikumnichtbegeisternkonnten,wurdenalsGrund
fürVorbehalte gegenüberderSzenegesehen. SchuldandieserMisere seien
erstensdieElternundzweitensdiekorruptenTheaterunternehmergewesen.212
InerstemFallmachtediePressevorallemdiesogenannten„Chantant-Mütter“,
dieMütterder jungenSängerinnen,verantwortlich.„Jene,vonwelchenSchiller
behauptet:DawerdenWeiberzuHyänen!DieseDamensindderSchrecken
allerDirektoren;machenGarderobenundBühnenräumeunsicherundstehen
überalldenArbeitern imWege.“213Siewollten ihreTöchternur indenEtablis-
sementsderStadtunterbringen.Dasscheitertevielfachunterderschlechten
RückmeldungdesPublikums,dasdie jungen,unerfahrenenundmeistungeüb-
tenKünstlerinnenauspfiffundverlachte.Dieunglücklichenunderfolglosen
Frauenbekämendannnicht seltenernstzunehmendepsychischeProbleme, so
dasFazitdesArtikels.Soschenktenvieledannjedernochsounglaubwürdigen
VersprechungGlauben.214
210 „NiedermitderKonsum-Sklaverei“, IAR,24.2.1892,1.
211 AlsabsolutesNegativbeispiel fungiertehierdasOrpheuminFiume. IAR,24.2.1892,2.
212 IAR,24.2.1892,2.
213 IAR,20.2.1894,1.
214 IAR,20.2.1894,2.
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Titel
- Auf die Tour!
- Untertitel
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Autor
- Susanne Korbel
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 272
- Kategorie
- Kunst und Kultur