Seite - 173 - in Auf die Tour! - Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Bild der Seite - 173 -
Text der Seite - 173 -
VorbehaltegegenüberderpopulärenKultur 173
zumachenhofft.“218Esseidaher legitim,sodasArgument,dassdieSchauspie-
lerinnenmitderPresse„liebäugeln“,umguteKritikenzubekommenunddem
männlichenPublikum„schöneAugen“machten, solangeKunstauszuübenihr
aufrichtigsterWunschsei.Es sei jedochäußerstverwerflich, soderArtikel,die
KunstalsVorwandfürFlirtundAnbiederungzubenutzen:
DieCommillitonender Bühnenuntugendenmögenuns gnädigst verzeihen,wennwir
derAnsicht sind, dass einederartigeTheaterfeemehrUnglückundSchande stiftet, als
zwanzigsogenannteöffentlicheKebaweiber,vulgoLustdirnen,weilbekanntlichdieVel-
leitätenLetzerer keinen anhaltenden seindürfen, indemdafür polizeilicheund sonsti-
geOrgane sorgen,dass sie ihreohnehingenügendunverschämtenGrenzennichtüber-
schreiten.[!]219
DieDiskussion inder InternationalenArtistenRevueveranschaulicht einen
wahrgenommenenUnterschiedzwischenVarietédamenundsogenannten„Dir-
nen“.Dem„Unverfangen vonLüsten“ sollten sichdie „Bretteldamen“nicht
hingeben,daKunstihrhöchstesAnliegenzuseinhabe.Die„Dirnen“bräuchten
einengesetzlichenAufseher,damit ihreLüstenichtausuferten.DenVarieté-
damenhingegensprachdieDiskussiongewissermaßendasRechtauf sexuelle
Selbstbestimmungzu,zumindest solangediesekeineausbeuterischeKompo-
nentehabe.Denn,
[d]ie Künstlerin oder Artistin lebe aber ihrem Bühnen- oder Podium-Gewerbe und
nachdem auch in ihremBusen ein warmfühlendesHerz schlägt, so sei auch ihr, wie
jedem anderenWeibe gegönnt, der Liebe zu pflegen: allein ihrGewerbe nur dazu zu
benützen, um vomErtrage körperlicher Reize schmarotzend die in ihreNetze fallen-
denGimpel umbarmherzig[!] zu plündern, dass sei ihr ebensowie der gewöhnlichen
Lustdirneverboten.220
IndieserDiskussionum„Dirnen“undVaritékünstlerinnenklangenvielemi-
sogyneTopoiderZeitdurch:NurkörperlicheReizezuverwendenundunbe-
holfeneOpferzuüberwältigen, sei ihrverboten,dennderMannimPublikum
vermögeohnehinnicht,gegenseineLüsteanzukommen.DieFraudürfevon
ihrenStärkenalsVerführerinnicht„schmarotzen“.221
UmdemschlechtenRufderEtablissementsentgegenzuwirken,wardieSzene
bemüht, jedemMissbrauch ihresKunstgewerbesvorzubeugen.Umzuvermei-
den,dassvermeintlicheAgent*innen,EnsembleleitendeoderDirektor*innen
FrauenaufdemWegeeiner„Karriere“ indieProstitution lockten, schalteten
218 „BitterePillen“, IAR,20.9.1893,1–2,1.
219 IAR,20.8.1893,2.
220 IAR,20.9.1892,2.
221 Ebda.
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Titel
- Auf die Tour!
- Untertitel
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Autor
- Susanne Korbel
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 272
- Kategorie
- Kunst und Kultur