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31.1
Was ist autonomes Fahren?
in einen „sicheren Zustand“, indem sie sich am Gras des Wegesrandes gütlich taten. Das
autonome Automobil will dem Fahrzeug seine verloren gegangene Autonomie zurück-
geben, ja die historische Form noch weit übertreffen.
Wichtig für das Verständnis des „autonomen Fahrens“ im Projekt wurde eine spezielle
Perzeption des Begriffs Autonomie bei Kant, wie sie Feil formuliert: Autonomie als
„Selbstbestimmung im Rahmen eines übergeordneten (Sitten)-Gesetzes“ [2]. Im Fall des
autonomen Fahrzeugs gibt der Mensch dieses Sitten-Gesetz vor, indem er das Verhalten
des Fahrzeugs programmiert: Immer wieder muss das Fahrzeug im Verkehr Verhaltensent-
scheidungen treffen – bzw. werden Entscheidungen ausgeführt, die zuvor von Menschen
für alle erdenklichen Fälle programmiert wurden.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass die Reaktion von Expertinnen und Experten
unterschiedlichster Fachdisziplinen von völliger Ablehnung dieser Definition bis hin zu
abgewogener Zustimmung reichte und reicht. Unabhängig davon war es aber mit dem
Verweis auf den so verstandenen und interpretierten Kantschen Autonomie-Begriff mög-
lich geworden, die unmittelbare Verknüpfung von technischer Entwicklung und ethischen
Überlegungen aufzuzeigen.
Die Bedeutung dieser Definition für Techniker zeigt sich nach meiner Erfahrung deut-
lich im Dialog mit Studierenden: Konfrontiert mit dieser Definition konnten Studierende
der Ingenieurwissenschaften in Braunschweig und München bereits in den letzten zehn
Jahren erkennen, dass sie bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge nicht nur Technik
erforschen und entwickeln sollen, sondern in aller Konsequenz auch „Sittengesetze“ im-
plementieren werden: Wie verhält sich ein autonomes Fahrzeug in einer Dilemma-Situa-
tion, wenn bei einem Unfall unvermeidlich der eine oder andere Verkehrsteilnehmer zu-
mindest verletzt wird? Diese Diskussion wird in diesem Buch von Patrick Lin und Chris
Gerdes vertieft (s. Kap. 4 und Kap. 5).
Zur Verständigung von Technikern und Juristen wurden in einer von der Bundesanstalt
für Straßenwesen (BASt) geleiteten Arbeitsgruppe unterschiedliche Assistenz- und Automa-
tisierungsgrade definiert [3]. Der höchste definierte Automatisierungsgrad wird dort „voll-
automatisiert“ genannt: Das vollautomatisierte Fahrzeug fährt selbst ohne mensch liche
Überwachung. Bei Degradation der Leistungsfähigkeit des Systems wird das Fahrzeug
selbstständig „in den risikominimalen Systemzustand zurückgeführt“. Aus tech
nischer Sicht
besteht die besondere Herausforderung darin, dass kein menschlicher Überwacher zur Ver-
fügung steht, der Systemgrenzen oder Systemfehler erkennt und bei Bedarf das Fahrzeug in
den sicheren Zustand überführt. Das vollautomatisierte Fahrzeug muss selbstständig seinen
eigenen Zustand überwachen, mögliche Systemfehler und Degrada
tionen der Leistungs-
fähigkeit rechtzeitig erkennen und dann – bei drohendem Leistungsabfall – den Übergang
in einen sicheren Zustand einleiten und durchführen. Offensichtlich nimmt der sichere Zu-
stand eine zentrale Rolle in der Definition ein: Worin besteht aber der sichere Zustand, wenn
sich ein Fahrzeug vollautomatisiert mit 130 Stundenkilometern über die Autobahn bewegt?
Pointiert folgert Ohl [5], dass die in den letzten Jahrzehnten von Forschungsinstituten,
Fahrzeugherstellern und IT-Konzernen gezeigten Prototypen für autonome Fahrzeuge im
öffentlichen Straßenverkehr im Sinne der Definitionen der BASt nur teilautomatisiert
Autonomes Fahren
Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte
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