Seite - (000140) - in Autonomes Fahren - Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte
Bild der Seite - (000140) -
Text der Seite - (000140) -
Kommunikationsprobleme zwischen autonomen Fahrzeugen und menschlichen
Fahrern128
7.1 Einleitung
Häufig wird im Zusammenhang mit autonomen Landfahrzeugen der Luftverkehr als
Beispiel herangezogen, bei dem – abgesehen von Start und Landung – der Autopilot die
Steuerung übernimmt. Somit stellt sich die Frage: Was können wir aus dem Luftverkehr
lernen? Die Gemeinsamkeit zwischen autonom fliegenden und autonom fahrenden Fahr-
zeugen besteht darin, dass der Pilot bzw. Fahrer die letzte Verantwortung trägt. Es gibt aber
mehrere Unterschiede zwischen Straßenverkehr und Luftverkehr (und damit ist nicht die
Art der Fortbewegung gemeint), die eine Übertragung zwischen den Systemen nicht sinn-
voll macht. Ein wesentlicher Unterschied, der im vorliegenden Beitrag von zentraler Be-
deutung ist, ist die Anwendung von Regeln sowie die Art der Steuerung. In Bereichen, in
denen Flugzeuge aufeinandertreffen – also vor allem beim Rollverkehr – ist alles durch
strikte Regeln festgelegt. Weiterhin gibt es eine übergeordnete Überwachung und Steue-
rung, die dem Piloten exakte Anweisungen gibt und in Zweifelsfällen, die möglicherweise
nicht durch Regeln gedeckt sind, Entscheidungen trifft und an den Piloten kommuniziert.
Der Pilot hat also in diesen Situationen keinerlei Ermessens- oder Entscheidungsspielraum.
Er ist ausschließlich ein ausführendes Organ. Im Vergleich zum Luftverkehr stellt der
Straßenverkehr eher ein selbstorganisiertes, chaotisches System dar, das zwar prinzipiell
durch Regeln geordnet wird, bei dem aber viele Situationen nicht in einer eindeutigen
Regel festgelegt werden können. In diesem Fall kommt dann immer § 1 der Straßenver-
kehrsordnung (StVO) zur Anwendung, der besagt: „Die Teilnahme am Straßenverkehr
erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht“, und „Wer am Verkehr teilnimmt,
hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den
Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“ Im Sinne eines erschöpfenden
Regelwerks für das Verhalten in allen denkbaren Situationen gibt es also im Straßenverkehr
eine große Kategorie „Sonstige“, die von Verkehrsteilnehmern im Einvernehmen und unter
Berücksichtigung von § 1 STVO gelöst werden müssen. Somit gehört zu den zentralen
Aufgaben eines Fahrers zur sicheren Teilnahme am Straßenverkehr auch die Einschätzung
des Verhaltens anderer Verkehrsteilnehmer. Diese Einschätzung und Vorhersage des
Verhaltens anderer Verkehrsteilnehmer beruht zunächst auf der Annahme von mehr oder
weniger regelkonformem Verhalten der anderen. Zu der Absichtsabschätzung gehört aber
auch die Kommunikation der Fahrer und Verkehrsteilnehmer untereinander durch Aktionen
und Zeichen. Mit anderen Worten: Neben den „offiziellen“ Regeln existiert ein Satz von
informellen Regeln, die den Verkehr steuern.
Wer als Tourist in anderen Ländern unterwegs ist, sei es als Autofahrer oder Fußgänger,
kann aus eigener Anschauung erleben, wie sehr informelle Regeln, kulturspezifische Ver-
haltensweisen und die Kommunikation zwischen Verkehrsteilnehmern den Verkehr be-
stimmen. Trifft man als menschlicher Fahrer auf diesen anders gearteten „Regelkanon“, so
erlebt man zunächst eine Phase der Irritation. In der zweiten Phase der Adaptation passt
man sich im Laufe der Zeit mehr unbewusst an diese neuen, nirgendwo exakt fixierten
Regeln an. In der Phase der Konsolidierung erscheinen sie als selbstverständlich, obwohl
sie nicht fixiert und teilweise nicht einmal exakt zu beschreiben sind.
Autonomes Fahren
Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte
Gefördert durch die Daimler und Benz Stiftung