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Die Freigabe des autonomen
Fahrens446
Um mit der Qualitätssicherung möglichst frühzeitig zu beginnen, werden bereits, bevor
die ersten Testfahrzeuge erprobungstauglich sind, Tests in virtuellen Testumgebungen
durchgeführt. Die Testdurchführung mittels Modell- und Software-in-the-Loop prüft Funk-
tionen basierend auf Simulationsmodellen des Fahrzeugs, des Menschen sowie des Um-
felds. Dabei werden die zuvor identifizierten Testfälle eingesetzt. Je weiter die Entwicklung
voranschreitet, desto mehr reale Komponenten stehen zur Verfügung, die einem Test un-
terzogen werden: Hierbei kommen Prüfstände, Fahrsimulatoren oder Testgelände zum
Einsatz. Die Testdurchführung mittels Hardware-in-the-Loop, Driver-in-the-Loop oder
Vehicle-in-the-Loop geben Auskunft über die Qualität der unter Test stehenden Kompo-
nenten und Funktionen. Um Aktion und Reaktion des Systems Fahrer – Fahrzeug – Umwelt
zu überprüfen (den Loop zu schließen), werden auch für diese Testdurchführungen Simu-
lationsmodelle eingesetzt. Daher werden bis zu diesem Entwicklungszeitpunkt für die
Testdurchführung stets Simulationsmodelle benötigt, um das Gesamtfahrzeug zu testen.
Simulationsmodelle sind Abbildungen der Realität in Software und haben per se die Eigen-
schaft, die Komplexität der realen Welt zu vereinfachen.
Diese Tatsache führt dazu, dass aktuell keine sicherheitsrelevante Funktion in einem
Serienfahrzeug existiert, die nicht auch mit realen Testfahrzeugen überprüft wurde: Des-
halb wird für aktuelle Systeme immer auf den Test mit realen Fahrzeugen, realen Menschen
und realer Umwelt zurückgegriffen.
Aus dem notwendigen Einsatz der Realfahrt folgt, dass beispielsweise vor der Freigabe
der Mercedes Benz E-Klasse (W212) insgesamt 36 Millionen Testkilometer absolviert
wurden [12]3. Nach Fach et al. [13] bedarf allein die Freigabe eines aktuellen Fahrerassis-
tenzsystems bis zu zwei Millionen Testkilometer. Wenn zwischen zwei Aktivierungen der
ersten Stufe des EBA bei diesen Testfahrten 50 000 bis 100 000 Kilometer vergingen, wird
diese große Zahl an Testkilometern nachvollziehbar. Dabei ist noch nicht berücksichtigt,
dass die kritischere zweite Stufe des EBA während dieser Testkilometer gar nicht auslöste
(s. Aussage in Abb. 21.3). Diese Testkilometer im zweistelligen Millionenbereich gehen
einher mit beträchtlichen Kosten für Fahrzeugprototypen, Testfahrer, Testdurchführung
sowie deren Auswertung. Der Zeitbedarf lässt sich zwar durch Parallelerprobungen mittels
mehrerer Fahrzeuge reduzieren, jedoch entstehen hierbei zusätzliche Kosten für die Fahr-
zeugprototypen.
Dieses Beispiel zeigt, dass bereits für aktuelle Fahrerassistenzsysteme die Absicherung
basierend auf Realfahrten im Straßenverkehr eine ökonomische Herausforderung für den
OEM (engl. Original Equipment Manufacturer) darstellt. Besonders vor dem Hintergrund
der zunehmenden Funktionalitäten und der Varianten- sowie Versionsvielfalt je Fahrzeug-
modell wächst diese Herausforderung. Burgdorf [14] leitet beispielsweise eine Zahl von
 70 Varianten für den BMW 318i (E90) mit Komponenten wie beispielsweise Karos-
serieform, Motor, Getriebe, Abtrieb, Farbe, Klima, Infotainment her.
3 „Hinter [der E-Klasse] liegen umfassende virtuelle Tests mit digitalen Prototypen und insgesamt
36 Millionen Testkilometer ….“
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