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Das Badewesen bis ins 16. Jahrhundert
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Weitaus den meisten städtischen Badhäusern konnte man hinsichtlich der Sittlichkeit
nichts vorwerfen, ihre Bader, Knechte und Mägde waren ehrbare Leute. Wenn einige
»schwarze Schafe« unter ihnen ihren Betrieb zu einem Badebordell gemacht haben,
heute würde man wohl Massagesalon sagen, dann darf man das nicht dem ganzen Be-
rufsstand zum Vorwurf machen.166
Der Hinweis auf viele Kupferstiche, Radierungen, Holzschnitte und Gemälde, auf
denen man angeblich in öffentlichen Bädern Männer und Frauen zusammen nackt
baden, speisen und kurz vor sexuellen Aktivitäten sieht, geht ins Leere. Zum einen
handelt es sich um Badebordelle, nicht um städtische Bäder,167 zum anderen sind es
Kur-, Wild- oder Thermalbäder, wo man sich ausufernden Gastereien und moralisch
verwerflichen Lüsten hingab.168 Außerdem trifft die Behauptung von »vielen« Abbil-
dungen nicht zu. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich, dass es sich immer um die
wenigen selben Bilder handelt, vor allem um die leicht geschürzten Bademägde aus
der Wenzelsbibel und um schlüpfrige Badeszenen in den »Faits et dits mémorables
des romains«, einer französischen Übersetzung der »Facta et dicta memorabilia« des
Valerius Maximus.
Anton, der »Große Bastard« von Burgund († 1504), ein illegitimer Sohn Herzog
Philipps des Guten und somit ein Halbbruder Karls des Kühnen, war ein eifriger Bü-
chersammler und hat Illustrationen zu einem Manuskript des Valerius bei einem unbe-
kannten Maler, der um 1470 in Brügge wirkte und als Meister des Anton von Burgund
bezeichnet wird, in Auftrag gegeben. Eine Miniatur aus diesem künstlerisch hervorra-
genden Zyklus, die in moderner Zeit wieder und wieder als Beispiel sexueller Freizü-
gigkeit im Spätmittelalter abgebildet wird,169 sollte, wie auch Buchmalereien in anderen
»Faits«-Handschriften zeigen, eine Geschichte illustrieren, mit der Valerius die Neigung
der Menschen zu sinnlichen Genüssen charakterisieren will. Als der Autor von Hanni-
bals Heer vor Capua erzählt, führt er unter den lasterhaften Vergnügungen, denen sich
die Soldaten hingeben, auch den Umgang mit Prostituierten an. Das Bild illustriert also
in erster Linie einen Abschnitt des Textes. In die Ausgestaltung ist natürlich das Wis-
sen des unbekannten Meisters um die eigene Welt eingeflossen. Die Miniatur vereinigt
beide Elemente, Textillustration und Lebenserfahrung des Künstlers, in sich und ist so
ein »verzerrter Blick durch das Schlüsselloch auf das mittelalterliche Leben«. 170 Mit
anderen Worten : Die Szene voller Lust und Völlerei in einem burgundischen Badebor-
dell, die der Meister des Anton von Burgund uns präsentiert, entspricht nicht genau der
damaligen Wirklichkeit, zumal er als einfacher Buchillustrator wohl nie ein so nobles
Haus mit derart weitgehenden Diensten von innen gesehen und darüber etwas nur vom
Hörensagen gewusst hat. Das bedeutet natürlich nicht, dass es solche exklusiven Eta-
blissements, die allen möglichen Komfort boten, nicht gegeben hat. Noch Casanova
zeigte sich von Londoner Bädern beeindruckt, in denen man zu »Abend speisen, baden
und für nur sechs Guineen mit einer Kurtisane die Nacht verbringen konnte«.171
Im städtischen Bad vor 500 Jahren
Badhaus, Bader und Badegäste im alten Tirol
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Im städtischen Bad vor 500 Jahren
- Untertitel
- Badhaus, Bader und Badegäste im alten Tirol
- Autor
- Robert Büchner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79509-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 202
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute