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Die Bautätigkeit des Bistums Passau in Österreich 55
Tulln
Ein weiterer wichtiger Besitzstand des Bistums Passau in Österreich war die Pfarr-
kirche von Tulln. Dort hatte es im Bereich der einstigen Römersiedlung Comage-
nis schon im 5. Jahrhundert , zur Zeit des hl. Severin , eine christliche Gemeinde
und eine Kirche gegeben208. Der Ort war in der Völkerwanderungszeit kontinu-
ierlich besiedelt geblieben und im 9. Jahrhundert Sitz eines karolingischen Präfek-
ten für die östliche Grenzmark. Unter Ludwig dem Deutschen wurde ein Teil der
Siedlung Königsgut , 1108 weilte König Heinrich V. in Tulln , die Stadtburg wird
1139 urkundlich genannt. Reichsbesitz in Tulln bestand als pars civitatis que spectat
ad imperium bis ins 13. Jahrhundert. 1014 vergab Kaiser Heinrich II. davon eine
Königshufe knapp außerhalb südlich der damaligen Stadt an das Bistum Passau
zur Errichtung einer Pfarrkirche209 , die der Sitz einer Mutterpfarre eines großen
Gebietssprengels an der Donau wurde. Die Kirche erhielt das Patrozinium des hl.
Stephan. Im 12. Jahrhundert wurde Tulln von Passauer Archidiakonen adminis-
triert. Auch die Babenberger benützten unter Leopold II. und Leopold III. Tulln
als markgräflichen Gerichts- und Versammlungsort210.
Nach der Mitte des 12. Jahrhunderts unternahm das Bistum Passau auch in Tulln
einen großzügigen Neubau der Pfarrkirche211. Es entstand eine dreischiffige Basi-
lika vom bayrischen Grundrisstyp ohne Querhaus mit dreiapsidialem Ostabschluss ,
ähnlich wie die Klosterkirche St. Pölten. Vor allem aber erhielt auch diese Kirche
eine monumentale westseitige Doppelturmfassade nach dem Vorbild des Passauer
Pilgrimdoms 212. Eine Überlieferung aus dem 19. Jahrhundert berichtet von einer
Bauinschrift 1170 213 , was in die Zeit des Episkopats Bischof Heinrichs von Berg
( reg. 1165–1171 ) weisen würde. Da die nur kurz regierenden Bischöfe Rupert ( reg.
1164 / 1165 ) und Albo ( 1165–1169 ) und auch Heinrich von Berg selbst als Anhän-
ger des Gegenpapstes Viktor IV. schismatische Bischöfe und machtlose Abhängige
des Kaisers waren214 , ist anzunehmen , dass die Initiative zum Neubau der Tullner
Pfarrkirche noch unter Bischof Konrad , somit vor 1164 , ergriffen worden war.
Mit Diepold von Berg bestieg 1171 wieder ein rechtgläubiger romtreuer Kle-
riker den Passauer Bischofsstuhl. Gemeinsam mit den Erzbischöfen von Köln ,
Mainz und Trier und zahlreichen anderen Bischöfen war der Passauer Bischof an
der Aussöhnung Kaiser Friedrichs I. Barbarossa mit Papst Alexander III. in Vene-
dig im Jahre 1177 beteiligt. Bischof Diepold nahm auch 1179 am dritten Lateran-
konzil in Rom teil , das den Frieden zwischen Papst und Kaiser bestätigte und die
zuvor umstrittenen Modalitäten der Papstwahl neu regelte215. Das Portal an der
Nordseite der Tullner Pfarrkirche könnte mit den skulptierten Kapitellen seiner
Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Titel
- Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Autor
- Mario Schwarz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78866-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Medieval architecture, Austrian art, Medieval art, Austrian architecture, Architectural history, 13th century architecture
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Kunst und Kultur