Seite - 112 - in Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
Bild der Seite - 112 -
Text der Seite - 112 -
Die Bautätigkeit Herzog Leopolds VI.
112 begonnen wurde , besitzt sowohl im Erdgeschoss als auch im Obergeschoss jeweils
eine mit Kreuzgewölben versehene Halle in Form eines quadratischen Vierstüt-
zenraums359. Ganz ähnlich gegliedert ist der im Grundriss quadratische Haupt-
baukörper der Pfalzkapelle in Eger , die unter Kaiser Friedrich I. Barbarossa er-
baut und vor 1183 vollendet wurde360. Die quadratische Mittelöffnung zwischen
den Geschossen könnte als entfernte motivische Erinnerung an den Mittelraum
der Aachener Kapelle aufgefasst werden , auch ließen sich die Bereiche der Halle in
beiden Geschossen als Umgänge interpretieren ; mittelalterliche Quellenaussagen
über eine intendierte Nachahmung der Aachener Kapelle gibt es für die königli-
chen Kapellen von Nürnberg und Eger aber nicht. Grundverschieden vom Aache-
ner Modell ist die Raumwirkung der Vierstützenhallen in den beiden Geschossen
dieser Bauten. Vor allem aber weisen diese Doppelkapellen auch architekturhis-
torisch eine andere Deszendenz auf : Sie leiten sich nicht vom Aachener Münster
ab , sondern von bischöflichen Kapellen in Nachbarschaft von Domen des 11. und
12. Jahrhunderts ( Speyer , Köln , Herford , Mainz , Laon , Trier361 ).
Um von der Übereinstimmung eines Baus mit der architekturikonologischen
Topik der Aachener Pfalzkapelle sprechen zu können , müssen also entweder kons-
titutive Elemente vorhanden sein , die im mittelalterlichen Verständnis von einer
similitudo das Zitat erkennbar und unverwechselbar machten – Günter Band-
mann nannte als die Hauptkennzeichen die zentrale Anordnung , Emporen und
Wölbung362 , wobei aus den Vergleichsbeispielen insbesondere die Zentralbauform
unverzichtbar erscheint – , oder aber es hat sich zu einem bestimmten Bau ein aus-
drücklicher Quellennachweis erhalten , der die Intention bestätigt , dass eine Imi
tatio der Aachener Pfalzkapelle beabsichtigt war.
Für die Capella Speciosa treffen die erforderlichen Grundeigenschaften für eine
typologische oder für eine topische Übereinstimmung mit dem Aachener Modell
tatsächlich nicht zu : Von der Grundrissgestaltung her ist die Klosterneuburger Ka-
pelle kein Zentralbau , sondern ein klar ausgeprägter , auf eine Apsis ausgerichteter
Axialbau ; damit steht die Anlage in der typologischen Deszendenz des Apsidensaals.
Ein überhöhter Mittelraum , zu dem sich Umgänge im Erdgeschoss und Emporen im
Obergeschoss öffnen , ist nicht vorhanden. Eine Umgangsfunktion im Erdgeschoss
erscheint nicht ablesbar. Die Bereiche von Laufgang und Westempore weisen nicht
nur ganz unterschiedliche Breite und Beschaffenheit auf , sie standen nachweislich
miteinander nicht einmal in Verbindung , sodass eine Umgangsfunktion im Oberge-
schoss gar nicht vollziehbar war363. Auch eine Quellenaussage über eine beabsichtig-
te Nachahmung des Aachener Bauvorbildes liegt für die Capella Speciosa nicht vor.
Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Titel
- Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Autor
- Mario Schwarz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78866-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Medieval architecture, Austrian art, Medieval art, Austrian architecture, Architectural history, 13th century architecture
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Kunst und Kultur