Seite - 132 - in Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
Bild der Seite - 132 -
Text der Seite - 132 -
Die Bautätigkeit Herzog Leopolds VI.
132 thedrale von Reims fertiggestellt worden , die das unmittelbare Vorbild für den
Wandaufbau der Klosterneuburger Kapelle geliefert hatte. Gleichzeitig mit der
Capella Speciosa im Bau war der Chorbereich der Kathedrale von Auxerre , des-
sen Baudetails in so enger formaler und stilistischer Beziehung zur Kapelle Leo-
polds VI. stehen , dass an die Tätigkeit von Mitgliedern der gleichen Werkstatt
gedacht werden muss. Auch die vielfältigen Zusammenhänge mit den Chorka-
pellen von Saint-Jean in Sens ( 1205–1210 ) und Villeneuve-sur-Yonne ( ab 1215 ) so-
wie mit der Erzbischöflichen Kapelle in Reims ( 1215–1220 ) betreffen durchwegs
Bauten aus dem engsten zeitlichen Umfeld und führen ebenfalls in das Milieu
der königlichen Baukunst Frankreichs. Von verwandter Gestaltungsform sind
Baudetails der mittleren Turmgeschosse an der Westfassade der Kathedrale Nôt-
re-Dame in Paris , die um 1220 entstanden. Im gleichen Jahr wurde Guillaume
de Seignelay – bis dahin Bischof von Auxerre und Bauherr der neuen Kathedra-
le – vom Papst auf den Bischofsthron von Paris versetzt.
Für die Architektur in Österreich , wohin im ersten Viertel des 13. Jahrhun-
derts erst sporadische Einflüsse des gotischen Baustils gelangt waren , muss der
Bau der Klosterneuburger Palastkapelle ein unerhörtes Novum dargestellt ha-
ben. Es ist mit Sicherheit auszuschließen , dass einheimische Bauleute das diffizile ,
technisch höchst anspruchsvolle statische System des Wandaufbaus selbstständig
verwirklicht haben konnten. Auch die Herstellung der perfekt gerundeten , po-
lierten monolithischen Steinstäbe der Dienste und Arkadensäulen war bis dahin
in der österreichischen Baukunst noch nicht gelungen. Das Gleiche gilt für die
verfeinerte Oberflächenbearbeitung der Marmorkapitelle und anderer Bauglieder
im Inneren der Capella Speciosa , die in zahlreichen Details getreu nach franzö-
sischen Vorbildern ausgeführt erscheinen. Im Gegensatz zu Norbert Nussbaum ,
der die Frage , ob ihr Architekt ein wandernder Franzose oder ein vom Auftraggeber
nach Ostfrankreich geschickter Baumeister war 457, offen lassen wollte , muss man
zur Überzeugung kommen , dass am Bau der Klosterneuburger Kapelle ein her-
vorragend organisiertes Team von französischen Bauspezialisten verschiedenster
Aufgabenbereiche gemeinsam tätig gewesen ist. Diese Künstlergruppe war in der
Lage , sämtlichen Anforderungen auf gleich hohem Niveau zu entsprechen , von
der Planung der komplizierten Baustatik , die erhebliche empirische Erfahrungen
voraussetzte , über die Baustellenorganisation mit der seriellen Herstellung der
Werksteine und der Konstruktion der erforderlichen Schalungsgerüste für die Ge-
wölbe bis hin zur Ausführung der modernsten französischen Knospenkapitelle mit
naturalistischen pflanzlichen Details im Reimser frühen Herbariumstil. In keiner
Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Titel
- Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Autor
- Mario Schwarz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78866-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Medieval architecture, Austrian art, Medieval art, Austrian architecture, Architectural history, 13th century architecture
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Kunst und Kultur