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Ersteigung dc« Ankogels bei Gastein,
auf einer Höhe von 8t)9t)—8800 Fuß, die zudem der Sonne, welche
der östliche Ankogel lange hierher zu dringen verhindert, erst später zu-
gänglich ist, dürfte an Ersteigungs-, d. h. reinen Tagen der Schnee
wohl am Morgen immer gefroren sein — auch mit Steigeisen, ohne
welche der Stieg ohnehin nicht zu machen wäre, — die größte Vorsicht
bei jedem Tritte nöthig, um nicht über die ganze ungeheure Höhe von
2000 —ZWO Fuß hinabzurutschen und dadurch entweder das Leben
zu verlieren oder mindestens die Erpedition vereitelt zu sehen; — denn
ich würde wenigstens keine Lust haben, selbst unverletzt diesen Bergrücken
zweimal nach einander hinanzuklimmen.
Bereits beim Aufsteigen über die Wand stand uns eine weite
Fernsicht gegen Westen und Norden bis zum Tännengebirgc offen.
Hier auf der Schneide öffnete sich uns auch das Panorama gegen
Süden und Südostm. Nur den strengen Osten und Nordosten deckte
uns noch der Ankogel. Die Rundsicht schon jetzt genau zu studiren, hatten
wir auch Zeit genug. Denn Pflaum war schon ini Anfange des Auf»
steigens über die Schneefläche des Rückens hinter mir und Haidacher
zurückgeblieben, und da ich die sichtbare Bemühung des ältern Mannes
gewahrte, der allein gerade so viele Lebensjahre zahlte als wir beide
zusammen, so rief ich ihm zu, „er Möge nach seinen Kräften, ohne sich
zu sehr anzustrengen, nachfolgen, ich wolle ihn auf der Höhe erwarten."
So geschah es, daß er erst ^ Stunden nach uns auf der Schneide
anlangte. Diese Zeit nun war mir eben dazu nützlich, mich mit Zu-
ratheziehung meiner Landkarten, meines Compasses und Fernrohres in
denl Heere der sichtbaren Gebirge einiger Maßen zu recht zu finden.
Nichts destoweniger war ich sehr froh den Erwarteten endlich
bei uns ankommen zu sehen. Als wir nämlich oben anlangten, war es
etwa '/zß Uhr, die Sonne nuch hinter dem Ankogel, der Wind aber
so schneidend, daß ich trotz meines Mantels und der Zuflucht hinter
einem großen Steinblocke vor Kälte'zitterte, Warten mußten wir aber,
denn wir Beide, die wir nie auf dem Ankogel gewesen, bedurften zwar
nicht der physischen, doch ganz der Natur gemäß, welche die Jugend
zum kräftigen Handeln, das Alter zum Rathe berufen hat, der geisti-
Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Titel
- Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Autor
- Anton von Ruthner
- Verlag
- Carl Gerold's Sohn
- Ort
- Wien
- Datum
- 1864
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.8 x 19.2 cm
- Seiten
- 440
- Schlagwörter
- Alpen, Gebirge, Natur
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918