Seite - 233 - in Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
Bild der Seite - 233 -
Text der Seite - 233 -
Ersteigung des Anlogel« lci Gllstcin. 2ZZ
Da staunte ich hinaus in die Fernen, die hier nach aNen Him-
melsrichtungen vor mir gebreitet lagen, uiit Gefühlen, die, weil sie
unaussprechlich sind, durch Worte und Schilderung nur entweiht würden.
Nachdem ich den ersten Eindruck ungestört genossen, rccognos-
cirte ich die Spitze.
Sie zieht ganz in Schnee gehüllt nach einer unbedeutenden Sen-
kung nochmals uud zwar im Ganzen bis zur Länge von etwa 12
Klafter von Westen nach Osten fort. Dagegen ist sie mir schmal und
mag auch an den breitesten Stellen eine Breite von nur 4— b Fnß
haben. An ihrem östlichen Ende, wo man Hofgastem sieht, wurde mein
Bergstock aufgepflanzt, uud an ihm das Höhen - Barometer und ein
Thermometer befestiget. Haidacher rückte mit dem mitgenommenen
Mundoorrathe, Brod und kaltem Braten und einer Flasche Wein,
aus der Tasche hernus, und jetzt folgten die Brindisi. Man braucht
kein alljugroßer Verehrer der Trinkspriiche zu sein, aber in einem
Augenblicke, wie derjenige ist, den man über der Behausung der
Gemse und dem Horste des Aars, und hoch, hoch über dem Treiben
der Menschen zubringt, kann nian nur Allen Gutes wünschen, und die
Brnst drängt uns dann diesen Wunsch selbst bei der'sonst nicht zu
sehr geachteten Weinflasche auszusprccheu. Aber auch der Führer, der
die LebeuZgcfahr mit uns theilte, verdient die, von einem biedern Al-
pensohne stets bei Ausbringung seines Wohles gefühlte Freude.
Doch Einen durfte ich nicht vergessen. — Ich habe nie einen
finsteren, unfreundlicheren, so'wahrhaft bergesalten Greis gesehen als
den Ankogel mit seinem breiten, Tod und Ersterben starrendem Haupte.
Wie die Mcn auch ihren Göttern der Unterwelt opferten, so spritzte
ich mit dem Worte „Libo" und dem Gedanken „Nimm dieß Blnt fiir
das unsere" das erste mit dem dunklen Nebenblute gefüllte Glas auf
die Schnecfiache des Giftfels hin.
Hierauf feuerte ich noch meine Pistole ab, um die Erscheinung
des verminderten Schalles zu genießen und begann dann die Fernsicht
im Detail zu besehen.
Es war noch immer k:iu Wölkchen am Himmel, der natürlich
schwarzblau im Contraste zum bleichen Horizonte erschien. Bei dem
Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Titel
- Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Autor
- Anton von Ruthner
- Verlag
- Carl Gerold's Sohn
- Ort
- Wien
- Datum
- 1864
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.8 x 19.2 cm
- Seiten
- 440
- Schlagwörter
- Alpen, Gebirge, Natur
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918