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Ein Streifzug^dics- und jenseits der T<uuni, 335
Die obersten Spitzen der nächsten südlichen Vcrge, besonders
die Rabcnköpfe, standen da in den letzten Strahlen der scheidenden,
für das Thal langst untergegangenen Sonne. Aber dieselben Strahlen,
welche den westlichen Himmel roth färbten, konnten die Berge nicht
vergolden, nnd sie tauchten sie in ein so intensives Noth, daß die
8000 Fuß hohen Felsspitzen wie rothglllhendes Eisen in einer Art
erglänzten, wie ich dies fast niemals in meinem Leben gesehen habe.
Allmälich wurde das Noth schwächer bis es zuletzt ganz erlosch.
Doch noch .heute stehen diese rothglüh enden Spitzen so lebhaft vor
meinen Augen, daß ich, wäre ich Maler, den Farbenton genau auf
die Leinwand übertragen könnte.
Die Dunkelheit trat nun mit der im Gebirge eigenthümlichen
Schnelligkeit ein. Sie ließ uns bald erkennen, wie Blitz auf Vlitz
am westlichen Himmel zuckte.
Wir waren jetzt bei Wald angekommen nnd in uns Allen waren
Zweifel darüber entstanden, ob uns nicht noch vor Krimml ein Ge-
witter erreichen werde. Unsere Reisegesellschaft war aber eine zufällig
zusammengewürfelte Gemeinschaft in der Wesenheit sich fremder Men-
schen und litt an dem häufigen Gebrechen solcher Gemeinschaften, daß
aus Rücksicht für die Andern und um nicht mit ihren Wünschen in
Widerspruch zu kommen, Jeder Anstand nimmt eine entschiedene Mei-
nung aufzusprechen, wovon dann die Folge gewöhnlich die ist, daß die,
Sachen gehen gelassen weiden wie sie eben gehen nud nicht immer
den besten Ausgang nehmen. Ich deutete an, daß ich es für das
Klügste hielte fürs Erste in Wald zu bleiben; würde das Gewitter
vorüber gehen ehe es zu spät an der Zeit sei, so konnten wir noch
immer nach Krimml fahren, sollte es aber zn spät werben, so wären
wir wenigstens in einem erträglichen Gasthause über Nacht. Einer
der Reisegefährten schien mir beizupflichten, der andere dagegen ohne
Aufenthalt weiter fahren zu wollen. Niemand machte einen bestinim-
ten Vorschlag.
Wir fuhren eben an dem Gasthause von Wald vorbei. Da
rief einer aus der Reisegesellschaft der unter der Thüre steheuden
Wirthin zu: „Nun Frau Wirthin, kommen wir noch vor dem Wetter
Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Titel
- Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Autor
- Anton von Ruthner
- Verlag
- Carl Gerold's Sohn
- Ort
- Wien
- Datum
- 1864
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.8 x 19.2 cm
- Seiten
- 440
- Schlagwörter
- Alpen, Gebirge, Natur
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918