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A46 ^" Streifzug dies» uub jeuseits der Tauern.
hinabdonnert, vorbei, und wir waren auf halber Höhe in das Acheiv
thal dort angelangt, wo rechts vom Tauernpfade ein Fußsteig zur
Hütte der Schönangcrlalpe über unebenen Wiesboden leitet, aus welchem
einzelne Tannen aufragen. Wir folgen diesem Steige, um den obersten
Fall zn besichtigen.
Sein Brausen dient uns als Wegweiser. Schon haben wir die
Ache überschritten, aber noch verbirgt ein wiesengrüner Bergabhang
den gewünschten Anblick. Erst nachdem wir zu nicht unbedeutender
Höhe auf den nassen Wiesen hinangeklettert sind, gewahren wir nns
gegenüber den Katarakt. Kühn und hoch, wie der Fall eines Gebirgs»
baches, breit und wasserreich, wie ein Stromfall, liegt er vor uns,
und sogleich erkennen wir, daß wir noch niemals einen prachtvolleren
Wasserfall gesehen. Die Fluth donnert 5—700 Fuß tief herab in ein
Oneisbecken. Allein die Wogen im Abstürze selbst, wie wenig gleichen
sie sich von Sekunde zu Sekunde! Hoch oben, wo die Ache am Ab-
grunde anlangt, bäumen sie sich im engen Bette, wie zum kühnen
Sprunge, der ihnen bevorsteht; kaum aber haben sie ihu gewagt, wie
tausendfältig ist da die Phantasmagorie ihrer Gebilde, sei es, daß
sie neben einander und über einander abwärts sinken, kopfüber zur
Tiefe stürmenden Oeistergestalten ähnlich, deren weiße Gewänder in
Nebel zerfließen, sei es, daß sie, an den emporragenden Felsen zer-
schellt, in den unregelmäßigsten SsMüllnüen^ich.krümmen, oder als
Staubregen nach aufwärts schweben.
Blicken wir lange auf das überwältigende Naturschanspiel, so
zieht uns die Fluth mit in ihren wirbelnden Tanz, und wir schließen
die Augen, um uns von dem Schwindel zu befreien, der uns befallt.
Vor dem Scheiden jedoch suchen wir uns noch ein Bild für die
Erinnerung zu schaffen. Doch welchen Moment sollen wir festhalten
aus der ewig wechselnden Scene? Nur die Haubtumrifse bleiben sich
gleich: der breite Wasserstrom, in milchweißem Schaum hinabstürzend
über die Oneiswcmd, der dunkle Tannenforst ringsumher und die
lustig in den blauen Aether hinausziehenden Säulen leichten Wasser-
staubes, — und sie bilden in Kurzem auch in der That die Haupt-
züge unserer Erinnerung an den Krimmler Achenfall.
Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Titel
- Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Autor
- Anton von Ruthner
- Verlag
- Carl Gerold's Sohn
- Ort
- Wien
- Datum
- 1864
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.8 x 19.2 cm
- Seiten
- 440
- Schlagwörter
- Alpen, Gebirge, Natur
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918