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Gin Streifzug dies- und jenseits der Taucrn. 367°
seinen Mienen, als aus seinen uns nur im kleinsten Theile verständ-
lichen Worten entnahmen. Das war uns denn doch zuviel, und ich
verließ ihn mit einigen Bemerkungen, die eben nicht schmeichelhaft für
ihn genannt werden konnten, und ging zur nahestehenden andern Hütte.
Mein Reisegefährte dagegen sandte ihm eine volle Ladung der gewähl-
testen Kernausdrücke zu. Mag er sie nun nicht verstanden, oder sie in
Folge angeborner Würde so ruhig hingenommen haben, genug, er
schien dadurch ganz unberührt zu bleiben.
Da suchte ich eine andere Strafe anzuwenden, und reichte dem
Burschen aus der zweiten Alpe, der mir aus mein Begehren sogleich
auf's Bereitwilligste eine Schüssel mit Milch ans der Hütte gebracht
hatte, mit hoch aufgehobener Hand vor den Augen des Ungastlichen
zwei blanke Silbersechser. Dasselbe that mein Begleiter, und wir wollten
bemerken, daß unser Feind jetzt erst ein verdrießliches Gesicht machte.
Unserem freundlichen Wirthe aber, dein vier, noch dazu glänzende,
Sechser ein Kapital waren, leuchtete das Glück aus den Augen, er
brachte zur ersten, mindestens vier Maß haltenden Schüssel mit Milch
noch eine zweite eben so große, und wären wir jeder auf Münchhau-
sens Pferd gesessen, nachdem ihm durch das Fallgitter am Stadtthore
der Hinterleib abgeschnitten worden war, und hätten es zur Tränke aus
den Milchtöpfen geführt, er hätte keine Miene der Unzufriedenheit
gezeigt.
Als wir den Weg thalabwärts weiter verfolgten, gelangten wir
bald in die Walbregion, und zwar in förmliche Wälder von der hier
vorherrschenden Zirbelnußkiefcr. Die Aeste stehen bekanntlich bei dieser
Baumart ziemlich horizontal vom Stamme ab und krümmen sich vor-
züglich nur an ihren mit dünnen Nadeln bebuschten Enden nach auf-
wärts, in Folge dessen jeder Baum einen breiten Raum für sich in An-
spruch nimmt uud nach dem weisen Haushalte der Natur auch erhält, dem
Lichte aber der Weg durch die Baumäste blos wenig versperrt ist.
Ein solch' lichter Wald von weit auseinander stehenden Bäumen gewahrt
nun einen zwar fremdartigen, jedoch überraschend hübschen Anblick.
Es war halb sieben Uhr, als wir gegenüber der Oberhausalpe
anlangten. Die Hütten liegen auf schönem Wiesgrunde am Ausgange
Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Titel
- Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Autor
- Anton von Ruthner
- Verlag
- Carl Gerold's Sohn
- Ort
- Wien
- Datum
- 1864
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.8 x 19.2 cm
- Seiten
- 440
- Schlagwörter
- Alpen, Gebirge, Natur
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918