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Polyglottes Habsburg | 27
ETHNISIERTE UNTERSCHIEDE
Die verfassungsrechtliche Anerkennung der landesüblichen Sprachen leistete der
Nationalisierung Vorschub, unterlief sie aber auch zugleich. Das Ziel der Kongru-
enz von Sprache und Territorium vor Augen, erklärten nationale Aktivisten
sprachliche Unterschiede zu einem Kennzeichen von nationaler Identität. Sie de-
finierten Geltungsgebiete der jeweiligen Sprachen und verbanden die Vorstellung
nationaler Einheitlichkeit mit jener von ethnisch-kulturellen Unterschieden. Von
„ästhetisch auffälligen Unterschieden des nach außen hervortretenden Habitus,
[…und], von in die Augen fallenden Unterschieden in der Lebensführung des All-
tags,14 die für Max Weber die ethnischen Unterschiede in Österreich markierten,
war jedoch wenig zu bemerken. Im historischen Rückblick wird vielmehr eines
klar: Aussagen dieser Art waren nationalistischer Propaganda geschuldet, zeigen
doch historische Fotografien vielmehr, dass sich kulturelle Artefakte wie Bauern-
häuser, Alltagsbekleidung und Trachten regional praktisch nicht unterschieden.
Üblicherweise herrschte hier im Alltag auch Zwei- oder Mehrsprachigkeit vor, so
dass der Schluss naheliegt, dass auch die „Lebensführung des Alltags“ nicht von
auffallenden Unterschieden, sondern von Ähnlichkeiten bestimmt war.15 Um für
das Nationalgefühl Grundlagen zu schaffen,16 legten Nationalisten in mehrspra-
chigen Regionen, wo kulturelle Ähnlichkeiten dominierten, ihr Augenmerk auf
Unterschiede. Die Nationalisierung war demnach „harte Arbeit“,17 hieß es doch
14 Max Weber, „Ethnische Gemeinschaften“; ders., „Wirtschaft und Gesellschaft. Die
Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte.“ Nachlaß. Teilband 1:
Gemeinschaften, in: Wolfgang J. Mommsen und Michael Meyer [Hg.], Max-Weber-
Gesamtausgabe 22.1, Tübingen 2001, S. 168-190.
15 Vgl. Johannes Feichtinger, Johann Heiss, „Der Wille zum Unterschied. Die erstaunliche
Karriere des Begriffs Ethnizität“, in: Herbert Justnik (Hg.), Gestellt. Fotografie als
Werkzeug in der Habsburgermonarchie. Nachschrift zur Ausstellung ‚Gestellt‘, Wien
2014, S. 51-56.
16 Vgl. Max Weber, „Machtprestige und Nationalgefühl“, ders., „Wirtschaft und Gesell-
schaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte.“ Nachlaß.
Teilband 1: Gemeinschaften, in: Wolfgang J. Mommsen und Michael Meyer [Hg.],
Max-Weber-Gesamtausgabe 22.1 Tübingen 2001, S. 222-247, hier S. 240-243.
17 Vgl. Pieter M. Judson, „Constructing Nationalities in East Central Europe. Introduc-
tion“, ders., Marsha L. Rozenblit (Hg.), Constructing Nationalities in East Central Eu-
rope (Austrian and Habsburg Studies 6), New York/Oxford 2005, S. 1-18; ders.,
“Guardians of the Nation. Activists on the Language Frontiers of Imperial Austria”,
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Titel
- Bildspuren – Sprachspuren
- Untertitel
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Autoren
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Herausgeber
- Eva Tropper
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 346
- Schlagwörter
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen