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Polyglottes Habsburg | 33
die Rede sein. Hartnäckig hielt sich hier eine schon von Zeitgenossen als „natio-
naler Indifferentismus“ verspottete Haltung,32 so dass die Alltagswirklichkeit
nicht von Gleichheit und Differenz, sondern von Annäherungen, Ähnlichkeiten
und kulturellen Synkretismen bestimmt war. Sie ergaben sich im „Kommunikati-
onsraum Zentraleuropa“33 durch die Praxis des Austausches und der wechselseiti-
gen Aneignung unterschiedlicher kultureller Praktiken und Formen, die hand-
lungsleitend und identitätsprägend wurden.
Mehrsprachigkeit bildete das Fundament für die Herausbildung eines plurikul-
turellen Kommunikations- und Interaktionsraums, der solange Bestand hatte, so-
lange sie von politischer Relevanz war. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts charakte-
risierte der Wiener Orientalist Joseph von Hammer-Purgstall in seinem „Vortrag
über Vielsprachigkeit“, gehalten an der kaiserlichen Akademie der Wissenschaf-
ten im Jahr 1852, Wien „von jeher“ als „Schauplatz der Vielsprachigkeit“.34 Er
stellte dabei zwei Tendenzen fest. Zum einen „die gerechte Eifersucht jedes Vol-
kes auf die Erhaltung und Entwickelung seiner Muttersprache“, die zum anderen
aber „mit der immer mehr sich ausbreitenden Vielsprachigkeit ihre Wege
[ginge]“. Bemerkenswert ist der Schluss, den Hammer-Purgstall zog, nämlich:
Muttersprache und Vielsprachigkeit „beirren sich […] nicht im geringsten“. Viel-
mehr stünde die „Wachsamkeit der Völker auf scharfe Abmarkung ihres eigenen
Sprachgebietes […] der Vielsprachigkeit so wenig entgegen, dass sie diese viel-
mehr befördert, indem die Ausbildung der Sprachen mehrerer Völker der aus-
schliesslichen Oberherrschaft einer Weltsprache schnurstracks entgegensteht.“35
Zur Jahrhundertmitte hatten verschiedene Kommentatoren einhellig die poli-
tische Bedeutung der Vielsprachigkeit erkannt, für den Staatsmann, den Soldaten
32 Emil Brix, Die Umgangssprachen in Altösterreich zwischen Agitation und Assimilation.
Die Sprachenstatistik in den zisleithanischen Volkszählungen 1880 bis 1910 (Veröffent-
lichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 72), Wien/Köln/Weimar
1982, S. 124.
33 Vgl. Moritz Csáky, Das Gedächtnis der Städte. Kulturelle Verflechtungen – Wien und
die urbanen Milieus in Zentraleuropa, Wien/Köln/Weimar 2010; ders., „Culture as a
Sprace of Communication“, in: Feichtinger/Cohen (Hg.), Understanding Multicultura-
lism, S. 187-208; ders., Das Gedächtnis Zentraleuropas: Kulturelle und literarische
Projektionen auf eine Region, Wien/Köln/Weimar 2019.
34 Joseph von Hammer-Purgstall, „Vortrag über die Vielsprachigkeit, gehalten in der Fei-
erlichen Sitzung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien“, in: Die Fei-
erliche Sitzung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften am 29. Mai 1852, Wien
1852, S. 87-100, hier S. 94.
35 Ebenda, S. 92.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Titel
- Bildspuren – Sprachspuren
- Untertitel
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Autoren
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Herausgeber
- Eva Tropper
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 346
- Schlagwörter
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen