Seite - 34 - in Bildspuren – Sprachspuren - Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
Bild der Seite - 34 -
Text der Seite - 34 -
34 | Johannes Feichtinger
und die einfache Bevölkerung. Hammer-Purgstall zufolge war „die Vielsprachig-
keit […] in Österreich durch die staatlichen Verhältnisse zur Nothwendigkeit ge-
worden.“ Sie erfüllte eine Integrationsfunktion: „Der Deutsche lerne die Sprache
des Nichtdeutschen, in dessen Land ihn sein Beruf führt, oder mit dem er dient,
der Nichtdeutsche die Sprache des Kaiserhauses und der Regierung, so löset sich
die Sprachverschiedenheit in der schönsten Einheit der Völker und des Reiches
auf.“36 Wenn Hammer-Purgstall hier auch einem Ideal nachjagte, das bereits zur
Jahrhundertmitte als Utopie erschien, so erkannte er doch das integrative Potential
von praktizierter Vielsprachigkeit, dem er im Kreis der Wiener Akademiker beredt
Ausdruck verlieh.
Der böhmische Dichter, Philosoph und Physiologe Jan Evangelista Purkyně
unterstrich in Austria polyglotta 1867, dass Mehrsprachigkeit „im Gebiete des ös-
terreichischen Kaisertums eine eigene Wichtigkeit für die Näherung dieser Völ-
ker, welche in Oesterreich unter einer Regierung verbunden sind“, habe. Ihre
Wichtigkeit sei „eine politische.“37
Auch Purkyně zufolge erfüllte Polyglossie den Zweck gesellschaftlicher In-
tegration. Sie bereitete zugleich den Boden für „kakanische Mischungen“ ver-
schiedenster Art.38 Davon berichten Schriftsteller und Wissenschaftler. Robert
Musil konstatiert im Mann ohne Eigenschaften einen „mitteleuropäischen Ideen-
vorrat“, der für einen seiner Protagonisten, General Stumm, zwar aus „lauter Ge-
gensätzen“ besteht, die aber „bei genauerer Beschäftigung mit ihnen ineinander
überzugehen anfangen“.39 Da, so der ungarische Schriftsteller György Konrád, das
„gedruckte Wort […] um die Jahrhundertwende ziemlich bunt“ war, konnten Ka-
kaniens Völker einen „gemeinsamen Mitteleuropäischen Markt“ bilden. Deren
„größte Energie verbarg sich in seinem Gemischtsein“. Daher, so Konrad, kamen
sie „irgendwie miteinander aus“.40 Die „eigenthümlich gemischte Bevölkerung“
36 Ebenda, S. 96-98.
37 Jan Evangelista Purkyně, „Austria polyglotta“. Tschechische Philosophen von Hus bis
Masaryk. Ausgewählt, mit Einleitungen und einem Nachwort versehen von Ludger Ha-
gedorn, Stuttgart/München 2002, S. 303-368, hier S. 353.
38 Vgl. Johannes Feichtinger, „Kakanische Mischungen. Von der Identitäts- zur Ähnlich-
keitswissenschaft“, in: Anil Bhatti, Dorothee Kimmich (Hg.), Ähnlichkeit. Ein kultur-
theoretisches Paradigma, Konstanz 2015, S. 220-243.
39 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, hg. von Adolf Frisé. Band 1, Rein-
bek/Hamburg 1978, S. 373.
40 György Konrád, „Der Traum von Mitteleuropa“, in: Erhard Busek, Gerhard Wilfinger
(Hg.), Aufbruch nach Mitteleuropa. Rekonstruktion eines versunkenen Kontinents,
Wien 1986, S. 87-97, hier S. 88.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Titel
- Bildspuren – Sprachspuren
- Untertitel
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Autoren
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Herausgeber
- Eva Tropper
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 346
- Schlagwörter
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen