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Laibach, Lemberg, Czernowitz | 163
Czernowitz macht also aufgrund des Postkartenbefundes den Eindruck einer fast
rein deutschsprachigen Stadt mit kaum nennenswerten rumänischen Einspreng-
seln. Ein Blick auf die Sprachenerhebungen der betreffenden Zeit ergibt freilich
ein etwas anderes Bild, wobei wir uns hier auf die Erhebungen von 1880 und 1910
als Eckpunkte der für uns relevanten Zeitspanne konzentrieren wollen.
Beim Zensus von 1880 gaben von den genau 44.600 registrierten Personen
(„zuständige Bevölkerung“) als Umgangssprache 50,9% deutsch, 18,5% ruthe-
nisch, 15,0% polnisch und 14,4% rumänisch an.43 Die Sprachenerhebung des Jah-
res 1910 ergibt für die Stadt Czernowitz eine „anwesende Bevölkerung“ von
schon 103.303 Personen, von denen als Umgangssprache 40,0% deutsch, 14,8%
ruthenisch, 14,4% polnisch und 13,0% rumänisch angaben.44 Die Frage, warum
innerhalb von 30 Jahren das Deutsche um ganze 11 Prozentpunkte abnahm, hängt
einerseits mit dem starken Zuzug ruthenischer und rumänischer Landbevölkerung
zusammen, andererseits damit, dass sich einige der 1910 in Czernowitz lebenden
28.613 Juden45 weigerten, Deutsch als Umgangssprache anzugeben, da sie ja zum
Teil ihre tägliche Kommunikation, v.a. im Familien- und Brauchtumsbereich, auf
Jiddisch bestritten, in einer Sprache, die in der Bukowina und in Galizien nur als
„Lokalsprache“ anerkannt war und bei den Zählungen auch nicht angegeben wer-
den konnte; so erklärt sich auch ein relativ hoher Anteil an Personen, die in der
Statistik keine oder andere Umgangssprachen angaben.46 Die Frage des Jiddischen
43 Die Bevölkerung der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder nach Reli-
gion, Bildungsgrad, Umgangssprache [...], 2. Heft [...], Wien 1882, S. 110, zit. nach
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=ors&datum=0001&page=354&size=44
(11.01.2020).
44 Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 in den im Reichsrathe ver-
tretenen Königreichen und Ländern. 2. Heft des ersten Bandes. Die Bevölkerung nach
der Gebürtigkeit, Religion und Umgangssprache [...], Wien 1914, S. 50. Zit. nach
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=ost&datum=0001&page=325&size=28
(11.01.2020).
45 Angabe nach P. Rychlo, „Multikulturalität“, S. 255. Dies ergibt für die Stadt einen An-
teil von 27,7% (vs. Bukowina: 12,9%) Israeliten. Die Angaben für die einzelnen Kron-
länder bzw. Landesteile findet man in: Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. De-
zember 1910 in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern, 1. Heft. Die
summarischen Ergebnisse der Volkszählung, Wien 1912, S. 54. Zitiert nach
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=ost&datum=0001&page=57&size=45
(11.01.2020).
46 Zur Diskussion dieser Frage in Bezug auf die Zählungsergebnisse 1880–1910 für das
Kronland Bukowina insgesamt s. Emil Brix, Die Umgangssprachen, S. 390-400.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Titel
- Bildspuren – Sprachspuren
- Untertitel
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Autoren
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Herausgeber
- Eva Tropper
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 346
- Schlagwörter
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen