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242 | Jerneja Ferlež
zeigen alle Teile der Stadt und Ansichten von beiden Uferseiten; häufiger aber
von der linken Drauseite, wo der Großteil der wichtigsten öffentlichen Gebäude
und urbanen Räume sich aneinanderdrängten. Ein häufiges Motiv waren Gassen
und Plätze. Einige unter ihnen waren altbekannte Stadtansichten – z. B. die Her-
rengasse (Gosposka ulica) mit ihren vielen Geschäften (siehe Abb. 2), der Burg-
platz (Grajski trg) mit der Burg, der Hauptplatz (Glavni trg), die Viktringergasse
(Vetrinjska ulica) oder die Kärntner Straße (Koroška cesta). Die Tegetthoffstraße
(heutige Partizanska), die alte Verkehrsroute Richtung Graz wurde nach der Er-
richtung des Bahnhofs Mitte des 19. Jahrhunderts rasch zu einer bedeutenden Ge-
schäftsstraße, weshalb ihre Ansicht nicht die alte Stadt, sondern Modernität und
Fortschritt repräsentierte. Genau genommen geht es bei all diesen Motiven gerade
darum: einerseits um die Darstellung des Altehrwürdigen und Geschätzten, ande-
rerseits vor allem aber um die Darstellung des Neuen und Modernen, um einen
urbanen Blick auf die Stadt.
Das Verhältnis der Bürger zu ihrer sich schlaghaft wandelnden Umgebung war
ambivalent – einerseits erfüllte sie die Modernisierung mit Stolz, andererseits
konnten sie ihr wegen dem Verschwinden alter Stadtteile oder Gebäude auch ab-
lehnend gegenüberstehen. Diese Modernisierung verlangte sowohl nach einem
schriftlichen als auch visuellen Festhalten der Veränderungen – und Postkarten
waren hierfür ein ideales Medium. Besonders die Einheimischen betrachteten sie
sehr genau unter diesem Licht, kauften, sammelten und verschickten sie unterei-
nander. Für sie waren Postkarten geradezu eine Art Führer durch die sich wan-
delnde urbane Umgebung, eine Art persönliche Geografie der Stadt sowie auch
eine Möglichkeit, die eigene Einstellung diesen Veränderungen gegenüber zu do-
kumentieren. Durch handschriftliche Botschaften auf den Postkarten und die ge-
troffene Auswahl an Karten in Sammelalben ergänzte man die Postkartenbilder
mit der eigenen Erfahrung und der eigenen Beziehung zu den sich wandelnden
Stadtansichten. Die Darstellung der sich wandelnden Stadt geschah im Wesentli-
chen auf zwei unterschiedliche Arten – die Inszenierung von kosmopolitischem
Weltbürgertum, von Modernität und Neuem sowie gegenteilig die Darstellung des
Alten als Wert per se, manchmal so weit gehend, dass auf den Bildern die Verän-
derungen gar nicht sichtbar wurden, die es inzwischen gegeben hatte. Durch Post-
karten ließen sich nämlich auch alte Ansichten gewisser Stadtteile bewahren, die
vor den Augen der damaligen Stadtbewohner verschwunden waren.13 Es wurden
auch einige weniger bekannte Teile der Stadt abgebildet. Es entstanden auch ganze
Postkartenserien, für die sicherlich lokale Fotografen verantwortlich zeichneten,
13 Nancy Stieber, „Postcards and the invention of old Amsterdam around 1900“, in: David
Prochaska, Jordana Mendelson (Hg.): Postcards: Ephemeral Histories of Modernity
(University Park, 2010) S. 24-27, 31-32, 37-38.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Titel
- Bildspuren – Sprachspuren
- Untertitel
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Autoren
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Herausgeber
- Eva Tropper
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 346
- Schlagwörter
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen