Seite - 265 - in Bildspuren – Sprachspuren - Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
Bild der Seite - 265 -
Text der Seite - 265 -
Motiv Stadt, Motiv Mensch | 265
oder ein Trugbild dieser Stadt? Ist die Darstellung von Hauptplatz, Eisenbahnbrü-
cke, Lendviertel, Herrengasse, Tegetthoffstraße, Burg- oder Viktringer Gasse oder
anderer Gässchen aus diversen Blickwinkeln wirklich das, was die Stadt damals
im Wesentlichen ausgemacht hat? Oder ist es bloß das, was jemand ausgesucht
hat, um die Stadt darzustellen? Das, wie die Bürger ihr schönes, sehr modernes
und völlig urbanisiertes Umfeld sehen wollten? Sind die Spaziergänger auf der
Tegetthoffstraße, die Kutschenfahrer vor dem Bahnhof, das Grüppchen Kinder auf
dem Domplatz, die Marktfrauen und Einkäufer am Hauptplatz, der Straßenkehrer
in der Burggasse, die Soldaten in der Dragonerkaserne, die fröhliche Gruppe im
vorstädtischen Weinschank und die Papierwarenhändlerin vor der Auslage ihres
Geschäfts wirklich die typischsten Vertreter der Stadtbewohner dieser Zeit oder
verlief das Leben eigentlich ganz anders? Beides stimmt. Karen DeBres be-
schreibt, dass auch amerikanische Postkarten dieser Zeit in der Regel vor allem
die Hauptstraße des jeweiligen Ortes zeigten – pulsierendes Leben, moderne Ver-
kehrsmittel, die wichtigsten Bauten der Stadt, lebhafte soziale Interaktion und so-
gar erfundene Fahrzeuge. Kurzum: die schönsten Gestalten und der modernste
Fuhrpark. DeBres zufolge wurde, wenn auf einer Aufnahme zufällig einmal etwas
Altmodisches eingefangen wurde, dies bei der Bildbearbeitung einfach herausre-
tuschiert, um das Bild bzw. in diesem Fall wohl mehr das Trugbild der Modernität
aufrecht erhalten zu können.32
Wir kennen zwar kein Beispiel, für das belegt ist, dass im Zuge der Bildbear-
beitung von Postkarten aus Maribor/Marburg etwas herausretuschiert wurde, weil
es zu wenig modern erschien, möglich ist so etwas aber dennoch. Nach der Be-
trachtung zahlreicher Marburger Postkartenmotive stellt man auf alle Fälle fest,
dass auch hier die Inszenierung des schönen, für relevant gehaltenen und moder-
nen Raums überwog. Dennoch ist einiges von dem, was man auf Postkarten sieht,
ein reales Bild. Die Häuser standen dort, wo sie waren, wie sie waren – und auch
auf Postkarten kann man feststellen, wann welches Haus aufgestockt, wann etwas
abgerissen, oder neugebaut wurde und wie die Hausfassaden zu einem bestimmten
Zeitpunkt aussahen. Man sieht die Gasbeleuchtung der Straßen, und zwar an-
schaulicher als sie irgendein Text beschreiben könnte. Man sieht die Telefonlei-
tungen an den Dächern einiger Häuser und sogar eine Telefonnummer, ein Rekla-
meschild hinten an einem Karren angebracht (vgl. Abb. 11). Man sieht die Geh-
steige entlang der Fahrbahnen, aber auch, dass die Vorstadtstraßen noch unge-
pflastert waren. Man sieht die gut sortierten Auslagen und die Anordnung der
Marktstände. Auf Stadtansichten sieht man die Gliederung der Stadt und den ge-
32 Karen DeBres, „The Emergence of Standardized, Idealized, and Placeless Landscapes
in Midwestern Main Street Postcards“, Professional Geographer 61/2, 2009, S. 227.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Titel
- Bildspuren – Sprachspuren
- Untertitel
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Autoren
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Herausgeber
- Eva Tropper
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 346
- Schlagwörter
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen